Montag, 19. Dezember 2011

Zwischenruf zum britischen Anti-EU-Coming-Out (KW 50 / 2011)


So echt doll verwundert hat mich der britische EU Eklat im Rahmen der geplanten Fiskalunion eigentlich nicht. Euch vielleicht? Das Verwunderlichste daran war noch, dass es seit den Schengen und Maastricht Abkommen jetzt doch so lange gedauert hat, bis die Katze mal so richtig aus dem Sack sprang.

Wirklich nichts gegen England bzw. Großbritannien und schon gar nichts gegen seine Menschen, aber diese Insel ist als zumindest aktiver Teil von Europa geographisch auf dem Globus irgendwo falsch angeordnet. Die Teilnahme an der EU ist ein großes historisches Missverständnis, denn die Grundinteressen und Hauptpartnerschaften dieses Landes sind nicht europäisch orientiert.

Meiner Wahrnehmung nach versteht sich Großbritannien in erster Linie als globale Drehscheibe und sinnstiftende sowie politische Ordnungsmacht des Commonwealth Gefüges überall auf der Welt. Also von Kanada bis Australien. Viel mehr ist das, als nur ein innerer Ersatz für das nach den Weltkriegen nicht mehr haltbar gewesene Empire, worin vielleicht auch unser Wahrnehmungsfehler vom europäischen Festland aus besteht. Der engste und natürliche Partner der Briten sind nicht wir Kontinentaleuropäer, sondern die USA weil diese ebenfalls selbst ernannt global ordnend unterwegs sind. Eine im Kern zwar abtrünnige Kolonie mit allerdings vielen gemeinsamen Wurzeln, aber einer gemeinsamen Versorgungs- und Durchhaltegeschichte im besonderen während des 2. Weltkrieges, welche die Natur der Partnerschaft und das Agieren dieser Länder miteinander bis heute prägt, ... ganz gleich ob Torys, Labour, Demokraten oder Republikaner hier wie dort am Zug sind. Außerdem Teil der Geschichte des britischen Empires.

Der damalige EG Beitritt 1973 war sicherlich einerseits so gemeint, in Europa geografisch und durchaus positiv ein wenig mitzumachen, hatte andererseits jedoch ganz bestimmt nichts mit der Vorstellung von einer möglichen europäischen Integration zu tun, geschweige denn von den "Vereinigten Staaten von Europa". - Sowieso galt vom ersten Tag an die Prämisse, dass Großbritannien keinen Cent auf irgendetwas draufzahlt.

Da sich in den 70er und 80er Jahren bei EU Verordnungen viel um Landwirtschaft und strukturschwache Regionen drehte, waren Länder wie die BRD und Frankreich (das allerdings gerade im Landwirtschaftlichen wiederum sehr profitierte) sogenannte Nettozahler. Eigentlich auch Großbritannien, aber die klinkten sich grundsätzlich aus allem aus, das ihnen unvorteilhaft erschien. Unsolidarisch vom ersten Tag an. Wir Festlandeuropäer machten das achselzuckend mit, weil man die Engländer nicht ausgegrenzt haben wollte. Insbesondere die europäischen Auftritte einer gewissen Lady Thatcher entbehrten seinerzeit nicht der dreisten Unverschämtheit.

Aus kontinentaler Sicht heraus darf man z.B. durchaus anmerken, dass es wir anderen - aber eben nicht die Engländer - waren, die Irland aus dem absoluten Armenhaus Europas herausholten, wofür Großbritannien allerdings historisch Verantwortung ebenso wie Schuld trifft. Eigentlich ziemlich krass, das Ganze!
 

Großbritannien hat de facto seit dem Ende des 100jährigen Krieges und dem Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland kein wirkliches Interesse mehr an Europa. Das war bereits ab dem Jahr 1453 so !! Seitdem geht die Entwicklung in etlichen Bereichen stark auseinander. Es gesellen sich kulturell v.a. Entfremdung und innere Abgrenzung wie auch Distanzierung hinzu.



Nach der erfolgreichen Behauptung gegen Vereinnahmung im 16. Jahrhundert (z.B. durch die damalige Großmacht Spanien / Habsburger) und der Gewinnung der Seehoheit wendet sich Großbritannien v.a. neuen Stützpunkten, Kolonien und dem Handel rund um den Globus zu beziehungsweise von dem europäischen Festland ab.



Die britischen Inseln befanden sich in der Hauptsache nur noch geografisch in der Nachbarschaft zu Europa.

Das britische Interesse am europäischen Kontinent verstand und versteht sich in der Folge v.a. in so einer Art Korrekturpolizist, welcher dafür sorgt, dass keine der größeren Mächte dort in die Rolle einer sogenannten Hegemonialmacht  kommt, die Vorherrschaft ausübt.

So stellte sich Großbritannien den paneuropäischen Ambitionen eines Napoleon in den Weg, und so widerstand es auch den Avancen von Nazideutschland bzw. bekämpfte es schließlich über lange Zeit beinahe gegen jede vernünftige Grenze hinweg, wofür wir Europäer und die Welt natürlich auf ewig dankbar sein werden.


Andererseits sind auf der im Grunde gleichen Prinzipiengrundlage auch die britischen Kriegsgründe und das Kriegsverhalten im 1. Weltkrieg mindestens ebenso fragwürdig wie diejenigen der anderen Teilnehmer.

Es ist und bleibt ein europapolitisch schwieriges Feld, sich stets gegen die tatsächliche oder angebliche Hegemonialmacht zu stellen. So wenig dies von den Hintergründen her im 1. Weltkrieg eindeutig war, so gefährlich wäre demnach aus britischer zum Beispiel heute das in Europa entstehende politische Machtgefüge: Nicht wenige nehmen rund um das europäische Schuldendesaster und dem damit einher gehenden Krisenmanagement eine gemeinsame Dominanz von Frankreich und Deutschland über den Rest des Kontinents wahr.  - BEDEUTET DIES ETWA, DASS ENGLAND JETZT MOBIL MACHEN MUSS UND VORGEHEN WIRD GEGEN DIE BEIDEN MÄCHTIGEN EUROPAFRESSER AUS PARIS UND BERLIN?

Klingt im Kontext, und da es ja heute nicht wirklich um eine bewaffnete Auseinandersetzung geht, beinahe etwas lustig, jedoch hatte der "Nein-und-Trotzreflex" des britischen Premier Cameron tatsächlich von alledem etwas: Man will auf der Insel nicht zulassen, dass Europa dahin kommt, mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen und auf diese Weise zu einer regionalen Großmacht zu werden.

Es geht gar nicht um die Fiskalunion oder andere Maßnahmen, sondern allein um den sozusagen historischen Reflex wesentliche Schritte im Sinne der europäischen Integration zu konterkarieren! Sei es durch Napoleon oder Hitler, sei es durch demokratisches und solidarisches Zusammenwachsen souveräner Partner, wie es die EU Stück um Stück auf den Weg zu bringen sucht. Klingt seltsam als These oder sogar absurd, aber ich bin überzeugt, dass es letztlich genau so tickt im britischen Urinstinkt.

Großbritannien, so wie es ist - oder eben zur Zeit noch ist - gehört nicht in eine sich zur echten politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich als Föderation entwickelnden EU. - Cameron ist nur mit etwas herausgeplatzt, nach dem seit Jahrzehnten jede britische Administration handelt. Nur besser verkleidet und diplomatisch verdeckt. Möglicherweise konnte der Mann mit dem Druck nicht umgehen, vielleicht war er überfordert oder zu unerfahren, eventuell aber wollte er es auch herausschreien und mit dem ganzen falschen Europa Getue aus britischer Sicht endlich Schluss machen.

Was es auch war, jetzt ist es heraus und Europa wie England haben die Gelegenheit zur vorerst logischen Konsequenz: Großbritannien sollte die EU verlassen! JETZT!

Ob dauerhaft oder auf Zeit, das würden die kommenden Entwicklungen entscheiden.

Kein Beinbruch, sondern nur die Korrektur einer Fehlkonstruktion. Ein solcher Schritt gäbe beiden Seiten die Gelegenheit, wieder Bewegung in das Gegenseitige zu bringen und endlich einmal konstruktiv mit dem bilateralen Nebeneinanderinteressen umzugehen. WARUM DENN NICHT?



Die Engländer agierten wieder freier und ehrlicher. Die Europäer kämen direkter und schneller zu ihren Zielen, die sie miteinander suchen, denn sie müssten keine faulen Kompromisse für die Briten schließen.

Na ja! Und je nachdem, wie sich die Welt und ihre wirtschaftlichen, politischen, sozialen und ökologischen Strukturen entwickeln werden, gibt es eines Tages vielleicht die gemeinsame Grundlage für einen Neustart.
Oder auch nicht, je nachdem. - Wichtig ist doch vor allem, dass wir endlich begreifen werden, auch tatsächlich die besten Strukturen zu bilden und nicht immer weiter danach zu gehen, was schön und eben rein emotionell wünschenswert wäre. Das können wir uns wahrscheinlich nicht mehr leisten.

Großbritannien kommt ohne Europa gut zurecht und nimmt seine Rolle und Partnerschaften wahr. Die EU wiederum blüht ohne die Engländer regelrecht auf und findet ihr Ding als föderaler Staatenbund.

Helfen wir der Initiative des britischen Premierministers und machen den nächsten Schritt! Für Europa! Für England! Für bessere und klarere Positionen der gemeinsam schwierigen Fragen und Lösungsverantwortungen rund um den so klein gewordenen Globus.