Mittwoch, 17. Oktober 2012

KOMMENTAR NACH FRIEDENSPREIS AN DIE EU

HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH EU (!), ABER:

ES IST AUCH AN DER ZEIT FÜR GROSSBRITANNIEN DIE UNION ZU VERLASSEN!
 
 

Zuweilen wundert man sich schon über die Preisvergabe des Nobelkomitees; ein Schriftsteller mit recht bedenklicher Nähe zu einem Regime erhält den Preis, das ansonsten notorisch ihm unbequeme Preisträger totschweigt, angreift oder gar einsperrt; ein Staatenbund wird als Organisation für Frieden ausgezeichnet, dessen besondere Leistung in dieser Hinsicht sich zumindest nicht auf den ersten Moment erschließt.

Die Nobelpreise für Literatur und Frieden sind - anders als diejenigen für wissenschaftliche Leistungen - immer eine subjektive Auslegungsgeschichte bis hin zu eben Geschmacksache. Der eine vollzieht es nach, der andere findet es unmöglich. Als z.B. Barack Obama den Friedenspreis in 2009 bekam, war damit die Hoffnung auf zukünftiges Wirken des damaligen Visionärs verbunden. Heute wissen wir: das Amt eines amerikanischen Präsidenten gibt so etwas nicht her. So gab und gibt es viele Ehrungen, die häufig dann enttäuschten, wenn sie in aktuelle Situationen hinein vergeben wurden. Beispiele sind z.B. der Nahost-Friedensprozess (Arafat/Rabin/Peres), Überwindung der Apartheid (Mandela/de Klerk) etc. und heuer eben die EU gewissermaßen als Preisabenteuer.

Da die EU sich in jüngerer Zeit nicht als erfolgreicher Friedensstifter aktueller Konflikte der Welt ausgezeichnet hat, verstehe ich den eben Preis so, dass er sich auf die Friedensleistung der europäischen Situation selbst bezieht. Jetzt, fast 70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges, ist eine kriegerische Auseinandersetzung im Ausdehnungsgebiet der EU nahezu undenkbar geworden. Das gilt ebenso auch für politische oder wirtschaftliche Nachbarn sowie sogar Kontrahenten. Der Preis will würdigen, dass ein kriegerischer Konflikt weder innerhalb der EU mehr stattfinden kann, noch z.B. mit Russland oder einem anderen Nachbarn durch die EU motiviert stattfinden wird. - Persönlich gebe ich gerne auch dem Gedanken und der Hoffnung Ausdruck, dass hier gar in einer der blutigsten Regionen der Menschheitsgeschichte der Krieg erstmalig endgültig und hoffentlich für immer abgeschafft werden konnte. So wahrgenommen, ist dies dann durchaus schon einen Friedensnobelpreis wert.

EINVERSTANDEN?!

In Großbritannien offensichtlich nicht! Dort finden sich quer durch die Medien, durch die Politik und durch die Gesellschaft Stimmen, welche den diesjährigen Friedenspreis an die EU mit Häme, Spott, Negativkommentaren sowie Verunglimpfungen überziehen. Eine kurze Zusammenfassung findet sich in diesem Artikel auf Spiegel-Online:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/euro-skeptiker-wettern-gegen-friedensnobelpreis-an-eu-a-861032.html

ICH WUNDERE MICH NICHT ÜBER DIE BRITEN

Was soll's könnte man gelassen sagen. Die Briten sind ja nie dabei, wenn es darum geht die europäische Integration voran zu bringen oder etwas zu würdigen, was Europa geschafft hat. - Trotzdem! Ich mag mir das einfach nicht immerzu bieten lassen: Der britische Sonderbeitritt zur EG 1973 (Formel: Vorteile Ja, Pflichten Nein) war schon ein sehr spezielles und teures Ding, das destruktive Verhalten im Rahmen der dt. bzw. auch europäischen Einigung kaum mehr erträglich über die letzten beiden Jahrzehnte und bis hin zu den Verhaltensweisen bei Euro- (ohne eigene Teilnahme)/Bankenkrise und EU-Verfassung im Grunde längst nicht mehr hinnehmbar. Großbritannien ist nicht und war nie an einer europäischen Integration bzw. an einer echten EU interessiert und wird es auch absehbar nicht sein. Dieser nur geographisch in Europa verortete Staat versteht sich aus eigenen historischen Gründen nach wie vor in einer anderen Rolle, ... nämlich dem eigenständigen souveränen "Global-Player" im Sinne des Mitte letzten Jahrhunderts vergangenen Empires, dessen Verlust im Denken dieser Nation trotz des nachfolgenden Commonwealth bis heute nicht aufgearbeitet wurde. Viele Verhaltensmerkmale und Traditionsrituale belegen es.

Anders ausgedrückt: Großbritannien ist nur Mitglied der EU um dort zu verhindern, dass in seiner direkten europäischen Nachbarschaft die tatsächliche Integration der Kontinentalstaaten stattfindet und so eine aus seiner Sicht neue Großmacht nicht entstehen kann, welche den (ehedem und historisch) globalen Einfluss Großbritanniens nur schmälern oder ihm gar gefährlich würde. Bemäntelt ist das alles mit dem historischen Wirken gegen Hegemonialmächte auf dem Kontinent (Habsburg/Spanische Armarda/16. Jhdt. - Napoleonische Kriege - 1. & 2. Weltkrieg).

DER VERSUCH GROSSBRITANNIEN IN DEN EUROPÄISCHEN PROZESS EINZUBINDEN BZW. ZU INTEGRIEREN IST LÄNGST GESCHEITERT.

Wie schon der Eklat in 2011 zur Fiskalunion (siehe auch http://themenwoche.blogspot.de/2011/12/zwischenruf-zum-britischen-anti-eu.html) hat die britische Reaktion auf den Friedenspreis erneut deutlich gemacht, dass diese EU-Partnerschaft eine Fehlkonstruktion ist. Die Bemühungen der kontinentaleuropäischen Staaten sind schon lange gescheitert Großbritannien in ihre Integration einzubeziehen. Es gab noch keinen EU-Austritt bisher; allerdings wäre dies in diesem Fall für beide Seiten eine gute Chance zu Fortschritt und tatsächlich weiterer Integration. Außerhalb der EU erwiese sich Großbritannien möglicherweise als besserer und konstruktiverer Nachbar als innerhalb. Das Wahrnehmen der eigenen Interessen würde für alle besser passen und das unangenehme bis destruktive Zerstören von Prozessen könnte aufhören.

Zusätzliche Bedingung: Auf der Insel müsste ein bisschen Vertrauen einsetzen, dass die Zusammenarbeit von Deutschen und Franzosen (und/oder anderen) auf dem Kontinent innerhalb der EU keine existenzielle Gefahr für Großbritannien bedeuten (... sondern höchstens Partnerschaft).

DER PREIS SOLLTE CHANCE UND IMPULS SEIN


Klar, ... die Eurozone war zu weit gewählt, die Erweiterungen der EU zu schnell vorgenommen worden. - Aber gerade diese Dinge haben trotz der der z.B. kaum zu stemmenden Wirtschaftsgefälle wichtige Zeichen gesetzt.

Europa könnte diesen Preis zum Anlass nehmen, nächste Entwicklungsschritte in Angriff zu nehmen:

+ Mit der Arbeit an der Aufnahme der Staaten des ehemaligen Jugoslawien wäre die EU als Staatenbund mehr oder weniger komplett (die Türkei z.B. sollte meiner Meinung nach eher an einem ähnlichen Modell in Richtung  Middle East arbeiten).

+ Die Irrtümer und durchaus politischen Konstruktionsfehler des Euro werden gerade schmerzlich bearbeitet. - Spätestens  wenn das erledigt sein wird, sollten alle EU-Länder am Euro teilnehmen und sich diesbezüglich überwinden; es wird das entscheidende Fanal von der bisherigen EU hin zu den Vereinigten Staaten von Europa sein. Nicht wie die die USA, sondern als Bund von Nationen auf einem vergleichsweise engen Kontinent.

+ Der Friedenspreis für die EU dokumentiert:  Krieg in Europa ist abgeschafft und überwunden worden! - Nur folgerichtig könnte und sollte die EU daraus einen weiteren Schritt verfolgen. Warum besitzen sämtliche Staaten der EU eigenes Militär und Heere bzw. wenden jeweils einen übergroßen Anteil ihres BSP/Haushalts auf, um diese zu unterhalten?!

Das ist doch nichts anderes als ein Wahnsinn aus alter europäischer Vielstaaterei, der zu nichts mehr gut ist. Wenn wir eine gemeinsame Währung und einen Markt haben können, wenn wir Außengrenzen im Rahmen eines Schengen-Abkommens haben können und in Zukunft vielleicht noch viel mehr, dann brauchen wir sicher keine 27 Einzelarmeen mehr, sondern könnten stattdessen auch mit einer EU-Truppe auskommen. - - ... Bis diese Militärsache überhaupt einmal unnötig wird. Angebrachte Polizeifunktionen leisten auch das Ihre. Was meint Ihr? Wenn Europa Schule macht, ist das doch so unmöglich nicht.

Die Regionen der Welt benötigen etwas Zeit und viel Engagement. Undenkbar aber ist das nicht: Afrika, Nord- & Mittelamerika, Südamerika, Middle East, Asien in mehreren Zonen, Ozeanien. Vorlaufende Ansätze von solchen Bündnissen und Organisationen gibt es längst; der Weg der EU kann dabei zum Vorbild werden oder zumindest als Beispiel dienen.

Nach anfänglicher Verwunderung erklärt sich der diesjährige Friedenspreis schnell auf eine Weise, die wir alle sehr persönlich erleben und nachvollziehen können:

Mein Vater kehrte nach dem Krieg ein Jahr vor dem Abitur stehend mit seiner Familie aus dem bayerischen Regensburg (der Großvater arbeitete dort bei Messerschmidt) ins heimische Saarland zurück. Ein Gymnasium gab es in Saarbrücken aber nicht mehr, sondern damals nur die frz. Schule, das "Lycée Maréchal-Ney" (heute: dt.-frz.-Gymnasium). Er wagte es und schaffte den Abschluss ohne vorherige Kenntnisse der frz. Sprache! Dies und das anschließende Studium in Nancy prägten ihn und später uns als seine Familie nachhaltig im Sinne eines schon vorweggenommenen Stück Europas.

Meine französische Freundin Claude stammt aus einer Region am Mittelmeer. Ihr Vater wurde 1943 unter Gewaltandrohung gegen die Familie zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert und überstand diese Zeit dort nach den Gesetzen, die das Überleben diktiert. 20 Jahre später suchte er in Deutschland nach den Menschen, die freundlich zu ihm gewesen waren und denen er sich trotz allem verbunden fühlte. So kam die Claude nicht nur zur deutschen Sprache, sondern auch zu Überzeugungen, welche die europäische Integration und die EU lange vor der tatsächlichen Zeit vorwegnahmen.

Wir trafen erstmalig Mitte der 80er Jahre intensiv aufeinander. Als später die Grenzschranken zwischen unseren Ländern und Kulturen gefallen waren, und als wir mit dem Euro sogar dasselbe Geld in der Börse hatten, war es mit dem Gefühl fast wie bei einem historischen Wunder (trotz dem Wissen um die üblichen Geschäftemacher der Währungsumrechnung auch diesmal). Europa kommt zusammen und ist nicht mehr auseinanderdividierbar. Für Claude und mich ist dies das Größte und Entscheidende. - Selbst all die Folgen der mitunter peinlichen Konstruktionsfehler in der Krise jetzt bringen das Projekt als solches längst nicht mehr zu Fall.

Dieses vereinigte und integrierte Europa ist ein besonderer Weg und eine besondere Geschichte, welche in der Zukunft eine ganz herausragende Wertschätzung zur globalen Entwicklung einnehmen wird. Darin sind sich Claude und ich nicht nur einig, sondern vor dem Hintergrund unserer Herkunft auch sicher!

Der Nobelpreis für EUROPA ist nicht nur sehr angebracht, er gehört auch zu den im Thema wertvollsten Auszeichnungen bisher. - MACHEN WIR ALLE MITEINANDER NOCH MEHR DRAUS!