Dienstag, 27. März 2012

Thema 13: ASYL (KW 13 / 2012)



Das Recht auf Asyl und seine Gewährung sind ein bedeutendes Instrument freiheitlich und demokratisch orientierter Gesellschaften gegen Gewalt, Verfolgung, Folterung etc. in leider noch immer zahlreich vorhandenen totalitären Regimen und Diktaturen dieser Welt. - In Deutschland ist es Grundrecht, geregelt in Art. 16a GG. Der zunächst einfache Satz lautet: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht".

Toll! - Wieder einmal bin ich einverstanden mit unserer Verfassung.

In der bayerischen Stadt aber, in der ich lebe, sind jetzt allerdings 12 "Asylbewerber" (<-- zynisches Wort, s. bitte weiter unten) und Flüchtlinge aus dem Iran in einen Hungerstreit getreten. Eine gute Woche ist das jetzt her. Sie kampieren in einem leichten Zelt vor dem Rathaus. Sie meinen das nicht als PR Maßnahme, sondern bitterernst. Ich konnte mit einigen sprechen.

Eine Annäherung: Diese Menschen sind in einer ehemaligen und äußerst heruntergekommenen Kaserne (Deckname: Gemeinschaftsunterkunft) beinahe gefängnismäßig untergebracht, inklusive täglich einem Karton seltsam zusammen gestellter Lebensmittel. Keine Bewegungsfreiheit, keine Grundversorgung, die man so nennen möchte, keine Integrationsmöglichkeiten, natürlich keine Arbeit und vor allem KEIN ASYL.

Die Verfahren der 12 in meiner Stadt Hungernden zur Prüfung der Asylvoraussetzungen dauern bereits zwischen 5 - 15 Jahre an, Ende nicht in Sicht! Wie bitte?! Damit verbunden ist das oben beschriebene Nicht-Vorhandensein von elementaren Grundrechten, wie sie unsere Verfassung definiert und wie wir sie als freiheitliche Gesellschaft verstehen. Das Leben der Betroffenen befindet sich gewissermaßen in einer Art Schwebezustand, einem Vakuum, einem Stillstand darauf wartend, dass es eines Tages wieder weiter gelebt werden darf.

Gerade in der vergangenen Woche hat der neue Bundespräsident in seiner Vereidigungsrede die Wertbedeutung von Freiheit und Würde nachhaltig für unsere Gesellschaft hervorgehoben.

Zunächst sehr betroffen von der drastischen Maßnahme eines Hungerstreiks verstehe ich nun doch, wie es gerade zu diesem letzten Mittel kommen konnte. Es drückt als physisch sichtbar gewordenes Bild auf erschreckende Weise die Realität ihrer Existenz hier in Deutschland aus.

Wie nur kann es mitten unter uns zu solchen Zuständen kommen, die Menschen in der Schwebe zurücklassen zwischen Nicht-Legalität, Perspektivlosigkeit und v.a. Inhumanität?

Die schlichte Antwort ist natürlich der politische Wille! - Dieser Zustand ist politisch gewollt. Klingt brutal oder hier vom Autor vielleicht zu Unrecht an den Pranger gestellt, aber es ist wirklich so und die politischen Hintergrundmotive sogar leicht zu verstehen: Anerkanntes Asyl bedeutet Bleiberecht, Arbeitsgenehmigung, Recht auf Sozialleistungen, Bildung etc. pp. ... kurz, es bedeutet Kosten. Diese kleine Gruppe aber - in Deutschland leben mit Stand 2009 weniger als 32.000 Asylsuchende - ist ohne jede politische oder sonst wirkungsvoller Bedeutung. Im Gegenteil, Asylgewährung verärgert sogar Herkunftsstaaten als nicht selten attraktive Wirtschaftspartner. Nicht zu unterschätzen ist auch der gewisse Stammtisch- bzw. Bierzeltpopulismus. Die politische Logik unserer Wirklichkeit heißt demnach "Schwebendes Verfahren". Und zwar über viele Jahre hinweg. Echte Bearbeitung und Entscheidung - die Begründung muss ja juristisch standhalten - finden einfach nicht statt, die Asylsuchenden fallen in diesen "Gemeinschaftsunterkünften" abseits öffentlicher Wahrnehmung dem Vergessen anheim (in meiner Stadt war das vor 20 Jahren noch im Zentrum und empörte schon damals ein paar Menschen, weil z.B. ein Gebäudeinhaber sich regelrecht das Näschen vergoldete mit 8-Bett-Zimmerunterbringungen etc., auch nicht besser). Nach vielen bis sehr vielen Jahren dann zumeist die Ablehnung wegen z.B. Einreise über ein angeblich 'sicheres Drittland', und die asylsuchenden Menschen gehen wieder, ohne sich noch einmal juristisch zu wehren. Zermürbt von der verlorenen Lebenszeit in einem Land, das nach außen hin die Fahnen von Gerechtigkeit, Menschenwürde, Freiheit und Demokratie weltweit mit am höchsten aufzieht. - Von daher kommentiere ich das Wort "Asylbewerber" als zynisch verwendet (s. oben).

Als Bürger und Einwohner unseres Deutschland kapiere ich durchaus die politisch-behördliche Dynamik sowie die Methode, wie das in der Praxis vor sich geht, aber es ist doch einfach nur beschämend. Und zusätzlich empört darf und muss man natürlich auch darüber sein, dass sämtliche entweder politisch oder beruflich Involvierte an ihrer jeweiligen Stelle dies alles sehenden Auges und sehr wohl wissentlich tun. Alles andere wäre einfach in die Tasche gelogen.

Beschämend ist das! Schämen tue ich mich aber auch dafür, dass ich selbst erst jetzt hinschaue, da 12 Menschen und mit ihnen weitere (noch) nicht Hungerstreikende keinen anderen Ausweg mehr sehen. Für sich und für ihr Leben, das ganz gewiss Würde verdient hat. Und auch ein wenig Qualität und Inhalt und, und, und. So wie wir alle.

Ende Januar 2012 hat sich in der GU (Gemeinschaftsunterkunft) meiner Stadt ein tragischer Selbstmord ereignet. Mohammad Rashepars sah wahrscheinlich keine Zukunft mehr für sich, keine Möglichkeit der Rückkehr, kein Leben das stattfand und nicht die Aussicht, dass sich dieser Zustand je verändern würde. Er traf für sich in der Konsequenz die einzige Entscheidung, über die er (brutal gesagt: in seiner Situation) selbstbestimmt noch entscheiden konnte. Jedenfalls scheint es so, wissen kann man das nicht. - Seine Mitbewohner und Kameraden im Flüchtlingsschicksal haben nun entschieden, dass es so für sie alle nicht weitergehen darf und diesen ebenso verzweifelten wie mutigen Schritt zum öffentlichen Hungerstreik unternommen.

Ich schäme mich für mein eigenes Phlegma angesichts solcher Zustände direkt vor meiner Haustür und sage, dass wir das alle miteinander tun sollten. So etwas dürfen wir einfach nicht zulassen.

Wie geht die Stadt und gehen wir nun mit dieser Situation um, die uns auf diese Weise so drastisch vor Augen geführt wird?

Wahnsinn, Business as Usual! - Direkt vor Rathaus, Kaufhaus und Einkaufsmeile liegen die Hungerstreikenden im Zelt mit ein paar Unterstützern drum herum. Die Stadt aber schaut einfach nicht hin, die Leute gehen ganz überwiegend kopfschüttelnd oder in die andere Richtung blickend weiter ihrer Wege.

Ich habe mich erkundigt. OB, weitere Bürgermeister, Stadträte, Offizielle? Totale Fehlanzeige! Nein Halt, da war doch jemand von der SPD und auch von den Linken in der Woche mal da. Aber wer und ob das nicht eher privat zufällig war ... Schulterzucken.

Eine Solidaritäts-Demo fand statt. Sonntags. 150 - gegen Ende vielleicht 250 oder 300 Menschen liefen mit durch eine von der Frühjahrsmesse und dem warmen Märzwochenende trotz Sonntag belebte Innenstadt. Die Hungerstreikenden konnten nicht mitlaufen. Zwischenkundgebung und erläuternde Worte an einem Ort abseits größerer Aufmerksamkeit. Menschen gucken, machen Fotos. Sie gehen weiter promenieren und werden nicht wissen, was hier wirklich los ist.

Die Unterstützer haben vielleicht zu wenig Erfahrung darin, wie man erfolgreich Demos ansetzt und die entsprechende Aufmerksamkeit erzeugt. Das kann Ihnen niemand verdenken. Die Beamten unserer Stadt hätten sich anders verhalten müssen.

Eine Provinzgroßstadt im nördlichen Bayern. Ich sehe absolut niemanden, der in irgendeiner Art und Weise unsere Stadt oder den Landkreis repräsentieren würde. Okay, ich kenne nicht jeden persönlich, aber niemand gibt mir auch nur einen Hinweis darauf. Und ich habe mich durchaus umgeschaut und erkundigt.

Die Stadt natürlich ist nicht zuständig, es ist das Bundesland, also hier der Freistaat Bayern. Dennoch bin ich mir vor Ort sicher, dass die Stadt hier das ihre durchaus für diese Menschen innerhalb ihrer Grenzen positiv tun könnte. Z.B. Anwälte stellen, die das Verschleppen der Verfahren nicht dulden, oder - wenn das zu viel ist - humanitäre und mitmenschliche Gesten, wie sie nur selbstverständlich sein sollten. Ich verstehe einfach nicht, dass der OB - er im besonderen - und andere für diese Stadt gewählt Verantwortliche sich nicht blicken lassen, sich nicht kümmern und sich nicht im Rahmen ihrer übernommenen  Verantwortungen und Überzeugungen so oder so, also dafür oder dagegen einsetzen. Ich schäme mich dafür, denn genau dies ist das kommunale Moment, das uns alle hier vor Ort angeht und betrifft.

Die zuständige Landesregierung und ihr Verhalten sind ein anderes. Das ist ein bisschen indirekt und können wir Bürger in unserer Kommune nicht direkt beeinflussen. Ich frage mich, ob Herr Seehofer - gerade staatsmännisch in aller Wahrnehmung als Interimspräsident - und die zuständige Sozialstaatsministerin Haderthauer wahrnehmen, was hier gerade - stellvertretend für die Zustände im Land - wirklich vor sich geht. Man darf es getrost bezweifeln. Sie würden es wohl nur tun, wenn zu erwarten stünde, dass ein gewisser Wähleranteil ihnen ihr Verhalten zum Thema ASYL übelnähme.

Ein Vertreter des Sozialstaatsministeriums gibt zur Situation der Hungerstreikenden auf Nachfrage am Telefon tatsächlich die Ansicht zum Besten, dass die meisten Menschen ja der Meinung seien, solche Asylbewerber könnten wieder gehen, wenn ihnen die Zustände hier nicht gefallen. - Ohne Worte!

Der Hungerstreik zielt in seinen Forderungen ausschließlich auf die zuständige Landesregierung ab und macht der Kommune keine Vorwürfe. Nobel, obwohl diese sich offenbar verhält wie vor drei Generationen schon einmal während einer ganz anderen Gemengelage, wenn ihr versteht, was ich meine. Ich empfinde das als schäbig und unwürdig von allen Parteien und Fraktionen im Stadtrat. Schämt Euch verdammt noch mal! Insbesondere der OB! Es ist seine Stadt! Er trägt Verantwortung und hat eine Fürsorgepflicht für das Schicksal der Menschen an diesem Ort.

Die Hungerstreikenden halten während der Abschlussworte am Ausgangspunkt der Demo ein Transparent in die Höhe auf dem steht: "Selbstbestimmung & Meinungsfreiheit statt Residenzpflicht & Lagerzwang".

Sie setzen sich während der Reden irgendwann auf den Pflasterboden, da die Kraft nicht mehr reicht mit dem Transparent nach oben. Einer versucht auf Deutsch zu sprechen und zu danken, kann aber seine Emotion und Tränen nicht unterdrücken, ein anderer verliest auf Persisch, worum es Ihnen als Asylbewerber und menschlich generell geht. Diese Erklärung wird übersetzt von einem Perser aus Köln und auf sehr schwerem Weg anerkannten Asylbewerber, welcher unerwartet persönlich an seine Landsleute gerichtet noch hinzufügt, dass das eine und einzige Leben doch viel zu wertvoll sei, um es derart einzusetzen.

Dem ist nichts hinzuzufügen außer dem lauten Ruf, dass das in der Verfassung grundlegende Asylrecht aus historisch sehr gutem Grund den Gedanken und Überzeugungen unserer Verfassungsmütter und -väter folgt. Darauf sollten wir uns besinnen und entsprechend handeln.

Geht hin und sprecht mit diesen Menschen in unserer Mitte. HELFT IHNEN!