Donnerstag, 26. Januar 2012

Ein Zwischenwulff zur bundesdeutschen Personalie Nummer 1 (KW 04 / 2012)



Ehrlich Leute, es muss schon ein ziemlicher Hammer sein oder braucht zumindest eine ordentliche Weile, bis mir etwas wirklich und so richtig auf die Nerven geht. Jetzt ist es mal wieder passiert: die Sache mit dem Bundespräsidenten nämlich bzw. der Mann selbst hat begonnen meine Lebensqualität einzuschränken.

Die Details der Affäre und ihre Auflistung lasse ich weg. Das geht sowieso jeden Tag aufs Neue durch die Medien. Ich gebe vielmehr meine Gedanken zum Charakter der Person wieder in der Hoffnung auf ein wenig Nervenberuhigung.

Zunächst fand ich die Angelegenheit ja noch zum Achselzucken. Da kam nur etwas auf, was doch längst Gang und Gäbe ist, also gewissermaßen zum guten politischen Ton gehört in unserer Gesellschaft von "sich selbst immer erst am nächsten Stehenden". Kein doller Aufreger. Inzwischen aber muss man sagen, dass der Mann die bisherigen Dimensionen des sich zwischen den Regeln bewegenden Selbstbedienungsladens zu sprengen beginnt. Jedenfalls darf das befürchtet werden.

Hinzu kommt allerdings auch das Affärenmanagement: Vertuschungspoker in einer Spielrunde mit Aufdeckungszockern! Beides zusammen geht einem nach wochenlanger öffentlicher Bearbeitung via TV, Print, Internet etc. halt recht ordentlich auf den Zeiger. Damit bin ich bestimmt nicht allein. - Ich finde jedoch auch, dass die Verantwortung hierfür wiederum und ebenfalls natürlich der Herr Wulff  als Person trägt, denn die Medien ihrerseits tun ja nur, was sie tun müssen. Die sind wahrscheinlich schon von sich selbst heftig angenervt.

Die Sache ist nicht schlimmer als andere Dinge, die sich unsere Politiker und Manager ab einer gewissen Ebene in zunehmender Zahl so leisten. Mich persönlich widert das zwar an, aber eine auch hier zunehmende Zahl an Menschen findet solches Geschehen offenbar nicht mehr so schlimm. Eine der Art und Weisen, wie sich unsere Gesellschaft gerade verändert. Noch in den 80er Jahren undenkbar.

Nein, was mir echt auf die Nerven geht, das ist die hier 1) doch die extrem dreiste Art des Umgangs mit der Affäre und dass 2) ein für den Staat zwar nicht exekutives, aber als Gewissen dieser Exekutive doch sehr wichtiges Amt auf Nimmer Wiedersehen Schaden nimmt.

Zu 1)

Es ist in letzter Zeit immer von der scheibchenweisen Salamitaktik die Rede. Das stimmt natürlich und ist wahrscheinlich das älteste bekannte Mittel, um sich beim "Ertappt werden" erfolgreich durchzumogeln. Hm, hier allerdings werden zu dem bekannten Prinzip gleich etliche neue Level hinzu "eingewulfft"; es verschlägt einem den Atem. Und doch lässt sich viel Erhellendes nicht beitragen, es stimmt schon die überwiegende Expertenmeinung, dass der Präsident die Angelegenheit in der ersten Woche komplett hätte auf den Tisch legen sollen. Entweder nichts wäre dann nach politischer Bewertung passiert (denn merke: selbst die Opposition wollte lange gar keinen Präsidentenrücktritt fordern), oder aber er hätte das Amt räumen müssen, wäre jedoch als Person noch ordentlich herausgekommen und könnte an anderer Stelle seine Karriere fortsetzen mit z.B. einem Job in der Wirtschaft.

So aber sitzt er möglicherweise bis 2015 ziemlich isoliert im Schloss Bellevue (niemand kann ihn zwingen oder entlassen!), um anschließend als Persona Non Grata durch die Analen zu irrlichtern.

Zu 2)

Das Amt des Bundespräsidenten wird in der hohen Landschaft der Politik oft ein wenig belächelt, weil es so machtlos ist. Viele sehen darin nur das Notarielle zur Ausfertigung von Gesetzesurkunden oder nicht selten auch die Altersbelohnung für treue Verdienste gegenüber den jeweils Mächtigen. Aber das stimmt ganz und gar nicht, das wird der eigentlichen institutionellen Aufgabe nicht gerecht.

Der Bundespräsident wurde in Anlehnung an den Weimarer Präsidenten eingeführt. Vor dem Hintergrund des 1000jährigen Nazitraumas sollte und durfte der jeweilige Regierungschef nicht gleichzeitig Staatsoberhaupt sein. Mit dieser ursprünglichen Intention ist aber bewusst auch ein gewisses Korrektiv und eine Überprüfung gegenüber den jeweiligen Regierungshandlungen angedacht worden. In Deutschland ist der Bundeskanzler offiziell eigentlich sogar nur die Nummer 3 an der Staatspitze, vor ihm firmiert noch der Bundestagspräsident. Auch das eine Maßnahme, um das Parlament wirklich mit im Staatsboot sitzen zu haben. Diese ursprünglich vorgesehenen Rollen sind in der Praxis unserer Republik allerdings sehr verwaschen worden. Der Kanzler regiert und repräsentiert dazu, der Bundespräsident als Repräsentant tingelt dagegen nur. So war das nicht vorgesehen.

Nicht dass ihr denkt, ich meckere die Konstruktion des Staates nur kaputt: Als wirklich funktionierend im System hat sich zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht gemausert in heute viel schwierigerer Zeit als zu den frühen Jahren der Republik (damals waren Entscheidungen und Auftreten dieses Gerichts mitunter seltsam). Auch das Parlament und die Parteienstruktur funktionieren und sind - sagen wir mal - als solches gesund (persönliche Schnäppchen und Vorteilsnahmen einmal ausgeklammert). Das zeigt die tatsächliche Bewegung in Wandlung und Entstehen von Parteien.

Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gewählt, einem Gremium, das ausschließlich für diesen Zweck zusammentritt und sich zu gleichen Teilen aus den Mitgliedern des Bundestages und nach einem Schlüssel eigens gewählten Vertretern der Länder zusammensetzt. Eigentlich sehr ungewöhnlich. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes fürchteten möglicherweise die populistischen Gefahren einer Direktwahl durch das Volk. Man muss immer berücksichtigen, dass das System unseres Staates aus den Jahren 1948/49 (Parlamentarischer Rat) stammt und unter dem Eindruck der gerade zurück liegenden Horrorereignisse stand. Über die Welt, die kommen würde, wussten die Verfassungsmütter und -väter damals noch nichts.

Zumeist hatten wir gute und ihre Zeit bereichernde Bundespräsidenten. Jeder hat da vielleicht so seine Präferenzen. Lübke und Carstens waren jetzt nicht so meine Helden, der vom Vorleben her sehr konservative Roman Herzog hat mich als eher links und progressiv orientierten Menschen dagegen mit deutlichen Worten und echtem Sozialgewissen positiv beeindruckt. Scheel und Rau fand ich im Amt fade, und die bis heute unter den Bundespräsidenten herausragende Persönlichkeit ist sicher Richard v. Weizsäcker, der den Nerv jenere Zeit traf, sich im richtigen Ton auch über die formalen Amtsgeschäfte hinaus zu Wort meldete mit so klugen wie mahnenden und gehörten Worten an Politik und Gesellschaft gleichermaßen.

Und genau das ist es nun worauf ich hinaus will: Der Bundespräsident soll und muss für die Gesellschaft (inkl. Politik und Manager) eine Person von allerhöchster moralischer Autorität sein, deren Vorbildcharakter und Integrität völlig außer Frage steht. Der Bundespräsident muss gehört, geachtet und respektiert den Finger auf die Wunden von Missständen legen sowie mahnen, raten, fordern u.s.w. ... - Im Grunde soll es ein Mensch sein, der für das Staatsschiff und die Gesellschaft eben das tut, was geistliche Institutionen und Modelle verschiedenster Ausrichtungen für die Seele und das grundsätzliche Wertegefüge tun.

So war es eigentlich angedacht und vorgesehen! Das Gesetze unterschreiben, das Orden verleihen und formal Repräsentative sind nur äußerlich zusätzliche Aufgaben. Na ja, bei den Gesetzen könnte er auch schon mal genauer hinschauen und sie zur Überarbeitung zurückgeben (mir ist da nur ein Fall erinnerlich ...).

Christian Wulff - mal dahingestellt, ob er das Amt überhaupt begriffen hat - ist dabei, die öffentliche Funktion des Bundespräsidenten völlig für die Zukunft zu zerstören bzw. sie sogar lächerlich zu machen und zu konterkarieren. Der Mann hätte doch spätestens begreifen müssen, dass es vorbei ist als er und das Amt nach Wochen (erst!) zum bissigen Spott von Kabarettisten, Cartoonisten, Kolumnisten, selbst Kommentatoren, dem Internet und sämtlichen TV-Talks verkommen sind. Inzwischen ist es sogar so, dass man sich besser nicht mit dem Bundespräsidenten sehen lassen möchte, dass Einladungen zu Empfängen etc. gemieden werden, um zu protestieren oder sich erst gar nicht dem Verdacht auszusetzen, den Herrn noch zu unterstützen.

Das Amt ist schlimm beschädigt, selbst wenn der Rücktritt endlich käme. Wie soll ein nächster Präsident denn nun mal ein ernstes Wörtchen auch mit der Kanzlerin reden? Wie soll er die Menschen glaubhaft auffordern der sozialen Schere entgegen zu treten? Wie Banken und Industrie mahnend begegnen? Die lachen sich doch alle kaputt. Das ist kein Spaß und keine Affäre mehr zum Achselzucken!

Ich sehe da einen wichtigen Unterschied zur herkömmlichen Polit- oder Manageraffäre: es geht sowohl um die höchste als auch wichtigste Autorität in unserem Land!

Hätte ich doch nur etwas zu sagen, so würde ich folgendes als Lehre aus der Affäre wohl andiskutieren wollen:

§  Es müsste ein neues Instrument geschaffen werden, das nicht nur den Rücktritt des Bundespräsidenten ermöglicht, sondern auch dessen Abwahl oder Amtsenthebung unter speziell definierten Herausforderungen! Vorstellbar wäre z.B. die Abwahl ebenfalls durch die Bundesversammlung nachdem das Verfassungsgericht die Voraussetzungen dafür festgestellt hat.

§  Auch sollten wir über eine Direktwahl durch das Volk nachdenken. - 1949 hielt man dies aus guten Gründen noch für gefährlich, aber heute leben wir in einem über Jahrzehnte hinweg stabilisierten System und Rechtsstaat, eingebettet in EU und anderen Bündnissen, so dass ein wenig mehr Basisdemokratie an der ein oder anderen Stelle sehr erfrischende Effekte haben kann. Zum Beispiel könnten im Bundestag vertretene Parteien das Recht zur Nominierung der Kandidaten haben.

§  Schließlich und last, not least, halte ich es für sinnvoll, dass die Kandidaten von ihrem Vorleben her weder Politiker noch Spitzenmanager oder Banker sein sollten. Ich stelle mir da eher Kulturschaffende, Wissenschaftler, Denker etc. vor, also von ihrer Vita her solche Menschen mit hohen moralischen, gesamtheitlichen und nachhaltigen Ansprüchen an sich selbst und natürlich an das Amt, um das Sie sich bewerben. - Ein Voraussetzungsschlüssel + eine unabhängige Wahlkommission sollten dies regeln.

Na ja, leider aber hab' ich ja nix zu sagen und denke auch im mittleren Alter immerzu noch idealistisch orientiert. - Könnte also sein, dass sich die Bedeutungslosigkeit meiner Ansichten auf diese Weise erklärt.

In einem TV Talk letztens wurde Joschka Fischer zitiert, der wohl ungefähr sagte, dass er als Bundespräsident nicht zur Verfügung stehe, weil an das Amt mittlerweile so hohe moralische Ansprüche gestellt würden, welche er als Person nicht erfüllen könne. - Ich hoffe für ihn, dass es ein ironisch gemeinter Kommentar war. In besagtem Talk wurde das ernst dargestellt und auch so besprochen.

2 Kommentare:

  1. 17. Februar 2012, 11:00 Uhr

    Nun also doch! Der Bundespräsident ist zurückgetreten. Wer hätte es noch gedacht nach den unsäglichen Verhaltensmomenten und Beschädigungen dieses öffentlichen Amtes.

    Offiziell wegen der nun doch angekündigten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Nun ja, als freilich nur einfach gestrickter Bürger wage ich das aber dennoch mal zu bezweifeln. Mir drängt sich vielmehr ein sehr fader Beigeschmack politischen Taktierens im Hintergrund auf:
    Die ersten Kommentare sprechen es nicht aus, aber nur eine Woche länger gewartet und es könnte sein, dass für eine Neuwahl die schwarz-gelbe Mehrheit in der Bundesversammlung weg ist! Dann nämlich würde die Landtagswahl im Saarland greifen und dort liegt Rot eindeutig vorn bzw. von der FDP ist gleich gar nichts mehr zu sein. - Logisch, dass solches Geschehen dann den endgültigen politischen Super-Gau für die Kanzlerin mit sich brächte.

    Könnte also sein, dass Frau Merkel erkannte, Wulff mittelfristig nicht über die Zeit bringen zu können und gehandelt werden musste.

    Wie gesagt: der Beigeschmack selbst des Rücktritts erscheint mir nun doppelt fade. Dafür kann der Wulff jedoch ausnahmsweise nur zur Hälfte etwas.

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  2. EHRENSOLD? - Das Wort impliziert Würde, Respekt vor dem hohen Amt etc. und bedeutet nichts anderes als unseren Umgang mit um unsere Gesellschaft verdienten Menschen.

    Wulff hat all das konterkariert (Vorteilsnahmen vielfältigster Art, Drohungen gegenüber Journalisten, Lügen, Verschleierungen etc. pp.) und möchte dafür nun lebenslang von uns allen mit einem anfassbar hohen Ehrensold durchgefüttert werden. Für gerade einmal 1,5 Jahre in einem Amt über dessen Ausübung sich zudem trefflich streiten liesse. Mein Zivildienst hat seinerzeit mit 20 Monaten länger gedauert ...

    Rücktritt aus politischen Gründen als Zahlungsgrund??? - Was bitte könnten denn dann (ausser vielleicht Krankheit) überhaupt persönliche Gründe sein?

    Fest steht, der Mann bleibt sich treu: Absahnen, abzocken und herausschlagen, was nur irgendwie geht. Egal ob es angebracht ist. Schön blöd vom System, das das möglich macht und zulässt. Nach ihm der politische und moralische Offenbarungseid. Was solls! - Also lebenslang Büro, Angestellte, Auto, Personenschutz obendrauf. Bravo!

    EHRENSOLD?! - Selten war das BVG so gefordert wie im Fall Wulff, diese Dinge wie Ehre und Angemessenheit wieder gerade zu rücken. Die Politik muss es anrufen, das ist in der Tat eine Frage der Ehre! - Bis dahin empfehle ich als "nur" einfacher Bürger der gesamten "Branche" den moralischen Zeigefinger zunächst nur noch auf sich selbst zu richten, ... und vor allem nicht sozial schwache Gruppen der Gesellschaft zu belästigen oder zu popularisieren.

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