Montag, 23. Januar 2012

Thema 11: Deutschland und sein Erbe der kurzen 1000 Jahre (KW 03 / 2012)



Es ist auch heute noch gerade mal 2 Generationen oder 70 Jahre her, dass in 12 schnelle Turbojahre der Imperialismus von 1.000 Jahren römischer Epoche hineingepresst wurde. Mit Eroberung und unfassbarer Gewalt, mit Menschenverachtung und einer im Ausmaß in der Geschichte einmaligen Massenverführung. - Und es war / ist "unser Deutschland", von dem hier die Rede ist.

Als ich geboren wurde, war der große Krieg noch keine 20 Jahre vorbei. Der irrwitzige, auf die Hälfte dieser 12 tausend Jahre komprimierte "Krieg aller Kriege" mit über 60 Millionen Toten und hunderten Millionen weiterer Opfer und Versehrte.

Als ich Kind war und am erweiterten Stadtrand aufwuchs, gab es überall noch Bombenlücken und auch Kriegsschutt. Selbst in den Dörfern der Umgebung bestand das Zentrum häufig aus Brascheplätzen mit Baracken darauf, in denen die Geschäfte untergebracht waren.

Als ich aufs Gymnasium ging, waren auf dem Schulweg oder um das Schulgebäude herum der Bombenalarm zwar nicht mehr Alltag, aber auch keine wirkliche Seltenheit. Wir kannten das und fanden die Sprengungen spannend.

Wenn wir draußen spielten (Wald / Baulücken / verwilderte Ecken der Stadt), war der Fund von Weltkriegsdevotionalien zwar ungewöhnlich aber ebenfalls nichts Außerordentliches. Ich selbst bin nie mit Waffen und Munition in Berührung gekommen (nur Helme, Uniformteile, Stiefel etc.), aber ich erinnere solche Fälle im Schulumfeld.

Wir Kinder und Jugendliche machten uns keinen Kopf und waren uns weder der zeitlichen Nähe zu den Ereignissen bewusst, noch dass unsere Eltern da mittendrin gewesen sein müssen. Für mich war das damals schon so etwas wie Geschichte, die in den Büchern (Bilddokumentationen / TIME LIFE "Der Luftkrieg", "Der U-Bootkrieg" etc.) stand, die besonders mein Vater großformatig im Regal stehen hatte. - Vielleicht ein wenig so wie heute die Existenz der zwei dt. Staaten und die Geschichte dazu meine eigenen Kinder zunächst nicht weiter interessiert bzw. sie mich für gestrig lebend halten, wenn ich versuche, Ihnen etwas zu den Hintergründen unserer Gesellschaft zu erzählen.

Heute - 2012 - sehe ich das längst anders und bin froh, mir intuitiv viele Eindrücke, Bilder und Geschichten in der Erinnerung bewahrt zu haben, denn das Bewusstsein über jenes Geschehen dieser kurzen, aber furchtbaren 1.000 Jahre sollte eminent bleiben. Nicht nur für unsere deutsche Gesellschaft, sondern überall dort auf der Welt, wo wir aufgrund menschlicher Schwächeneffekte und Mechanismen mit Nazimethoden oder entsprechenden Tendenzen konfrontiert werden.

Auch wenn ich mit meiner Nazi-Hasser- bzw. Geschichtsmacke zuweilen und gelegentlich zu Recht ein wenig anecke, bin ich doch zutiefst davon überzeugt, dass die eigentliche und das Thema endgültig erledigende Aufarbeitung noch aussteht.

Die junge, aus dem Topf der Weimarer-Lehren und Alliierten-Vorbildern für diese Zeit schon ziemlich genial konstruierte BRD hat sich zugunsten von "Aufbau und neuem Wohlstand" sehr extrem um Verdrängung sowie schnellem Vergessen bemüht. Sie profitierte dabei nicht nur von dem Aufbauwillen der Millionen an Flüchtlingen und Entwurzelten, dem Marschallplan mit modern-industriellem Neuaufbau, sondern vor allem von der nach dem Krieg entstandenen Ost-West-Konfrontation, welche den neuen Staat in Rekordzeit als weltpolitisches Mündel mitten in das westliche Lager der Kontrahenten katapultierte.

Das "Wirtschaftswunder" war angerichtet und der ansich richtig gedachte Ansatz der Entnazifizierung erledigt, bevor er für die neu sich bildende Gesellschaft überhaupt erst richtig hätte greifen können.

Die junge BRD blieb geschickt brav, bündnistreu obwohl natürlich nirgendwo Mitglied (UNO, NATO etc.), produzierte wieder (Technik und Ideen waren ja aus 1000 Jahren noch da) und wurde überschnell reich; schneller als die eigentlich weniger beschädigten Kriegsgegner England und Frankreich.

Ein Wunder? - Mitnichten!

England war ausgezehrt und während des Krieges in jeder Weise an seine Grenzen und darüber hinaus gegangen. Frankreich war im System innerlich gespalten (Kollaboration), zerrüttet und an den Rändern mitunter auch schlimm zerstört bzw. wirtschaftlich in Mitleidenschaft gezogen.

Deutschland hingegen war eine Komplettruine und völlig zerstört. Nicht überall, aber in den Wintern 45/46 und 46/47 gab es stellenweise sehr schlimme Not und einen Kampf ums nackte Überleben zu überstehen, bis sich diese "Stunde 0" schließlich  durchzusetzt. Alles ist neu, ist ein Stück Aufbau und eben ein etwas Mehr. Schon Mitte der 50er Jahre war die BRD ein in der Geschichte noch nie dagewesenes Erfolgsmodell. Der Krieg mitsamt Totaluntergang lag kaum 10 Jahre zurück.





Der Preis? - War schon auch hoch und wirkt irgendwie nach ...

Die junge BRD hat mobilisiert, was überhaupt nur verfügbar und abrufbar war: Lehrer, Richter, Politiker, Industrielle, Polizisten und, und, und. Alle setzten sich ein und legten sich ins Zeug, ... und waren nicht selten aktive und ehemalige Gewinnler aus der Epoche der 1.000 Jahre. Das ist nach meiner Überzeugung der leider doch vorhandene Konstruktionsfehler unseres Landes; nicht klug behandelt in der Gesellschaft bis heute.

Verständlich, dass das so geschehen konnte, meinetwegen ja (Ost-West-Konflikt), aber bedauerlich. Der Umgang mit dem entstehenden Bewusstsein der ersten Kindergeneration (68er) war aus meiner Sicht äußerst beschämend, aber auch nicht verwunderlich, denn selbst die Regierung war zu jener Zeit noch durchsetzt mit "Altvorderen" (Kiesinger und Co.). Steinigt mich, aber den aus 68 entstandenen  Terrorismus der 70er haben diese feigen Typen aus der Nazizeit zumindest am Rande mit zu verantworten. Er wäre nicht denkbar ohne sie.

Die spätere Entstehung der Grünen, des Feminismus, der Friedens-, Ökologie-  und Antiatomkraftbewegung ist diesen Typen als persönlichem Frust zum Ausklang richtig zu gönnen, denn auch das wäre ohne die unsäglichen Verdrängungen und Schuld-Unterdrückungen der frühen BRD wohl auch nicht passiert.

So ist dieses Deutschland damals also eine sehr ambivalente Kiste gewesen. Auf der einen Seite gespickt mit belasteten sowie schuldbeladenen Typen zu Hauf in Amt und Würden, aber auf der anderen Seite modern-erfolgreicher als jedes andere Industrieland seiner Zeit. Dazu kommt das komplette Mitmischen von geleichzeitig hochgradig integeren Persönlichkeiten wie etwa Brandt, Schmidt, Erhardt, Schmid, Mende, Heinemann, Reuther u.v.a. - Irgendwo als Person z.B. auch Adenauer, der allerdings neben seinen Verdiensten das Einsetzen unendlich vieler belasteter Menschen an herausragender Stelle eindeutig zu verantworten hat.

Um nur eine Hausnummer zu nennen: Forensische Historiker haben alles in allem etwa 700.000 deutsche Kriegsverbrecher hochgerechnet. Die Zahl beinhaltet Mörder bei Massakern, KZ und Holocaustbeteiligte und überhaupt Menschen, die nach innen oder außen Verbrechen jenseits anerkannter Kriegshandlungen unternommen haben. - Weit weniger als 10.000 sind aber jemals zur Rechenschaft gezogen worden, inkl. der sogenannten Staatsspitze im Rahmen der Nürnberger Prozesse. Selbst Teilnehmer der Wannseekonferenz, die sich gerade zum 70sten Mal jährt, erhielten Einstufungen als "Mitläufer". Der überwiegende Teil tauchte in Ost oder West bis zum Schluss unbehelligt unter oder machte seine Talente den jeweils neuen Systemen sogar nutzbar.

Scheußlich!

Aufgrund ihrer technisch gewollt oder zufällig sich ergebenden Ausgangslage entwickelte die junge BRD aber auch eine politische Position, die in der Welt einzigartig war. Kriegsmündel des Westens und Vorzeigeland in einem. Israel wurde früh schon und nachhaltig unterstützt, so dass eine Art Ausgleich zu der menschlich unfassbaren Schuld des Holocausts entstand. FJS (Strauß) organisierte  zwar in 57 eine sogenannte Wiederbewaffnung, also die Bundeswehr komplett mit Nazitypen (wie übrigens zu jener Zeit auch der BND unter Duldung der Alliierten), aber die BRD kämpfte bis in die 90er Jahre nicht in Kriegen, sondern erwarb sich aufgrund ihrer Ausnahmestellung weltweit einen hervorragenden Ruf als Vermittler hinter den Kulissen und als Aufbau- bzw. Entwicklungshelfer. Überaus erfolgreiche Blauhelmeinsätze und viele Postkriegsaktivitäten waren darunter. - Diese Position hielt leider nur 45 Jahre nach Kriegsende bis ca. 1990 an. Heute ist das alles Vergangenheit.

Unsere aktuelle Bundesrepublik dagegen legt seit 20 Jahren den Fokus darauf mit den Großen des Westens in der gleichen internationalen Liga zu spielen. Politisch blamiert man sich gerne mit peinlichem Getöse um einen Sicherheitsratsplatz,  also einem Gremium, das seit dem Ende des "Kalten Krieges" keine aktive Rolle mehr spielt bzw. auch gerne mal mit dem Rest der UNO von eben den sogenannten Großen ignoriert wird. Die Folge sind plötzliche Kampfeinsätze mit nun wieder Toten und unschuldigen Opfern, vor allem jedoch der Verlust der ehemalig hervorragenden Reputation unseres Landes bei internationalen Einsätzen. Beispiele sind: das ehemalige Jugoslawien, Afghanistan und viele Orte in Afrika, die nicht einmal mehr nachgefragt werden.

Als Kind und Jugendlichem (Jahrgang 64) hat sich diese alte BRD durchaus verantwortlich gefühlt bzw. beschäftigt mit Nazierscheinungen irgendwo in der Welt. Das war gut so und mit der weiteren, nicht kämpfenden Rolle des erfolgreichen Staates ein sehr wichtiges Momentum im internationalen Gefüge.

WESTDEUTSCHLAND war für wenige Jahrzehnte  lang vor dem Hintergrund des Holocausts so etwas wie das Gewissen der westlichen Welt. Mit durchaus gutem Erfolg und trotz der aktiven Masse an feigen Mittätern gegenüber der eigenen Vergangenheit. - Das ist leider völlig vorbei und offenbar vergessen.

Aktuell tut man so, als hätte dieses Land mit den unsäglichen Neonazierscheinungen nicht mehr zu tun, als irgendwer anderes. - Das ist sowieso völlig daneben und die furchtbaren Erkenntnisse um diese sogenannte "Terrorzelle von Zwickau / NSU" sind wahrscheinlich nur die Spitze eines Eisbergs.




Ich wundere mich nicht! Wir haben uns nach der "Wende" nicht ernsthaft mit gesamtdeutschen Positionierungen beschäftigt und auch zuvor die Verantwortung unseres Erbes übersehen. Wir als deutsche Gesellschaft ließen den Dingen und Ereignissen nach Krieg und Vereinigung eben nur ihren Lauf.

ES WÄRE AN DER ZEIT NACH INNEN UND AUSSEN EINZUSCHREITEN!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen