Religion und Glaube sind direkt hinter dem Alltäglichen ein großes Thema im irgendwie Verborgenen. Entweder ist mir das in meinen jüngeren Jahren nicht weiter aufgefallen oder die soziokulturellen Aspekte der gesellschaftlichen Glaubenspositionierung haben sich in den letzten 15 Jahren stark verändert. Ich vermute Letzteres.
Auffällig wurde mir das Thema vielleicht erstmalig, als in 2000 von der sogenannten "Deutschen Leitkultur" die Rede war. Erinnert Ihr Euch? Es ging um den Umgang mit Migration bzw. die dauerhafte gesellschaftliche Integration von Mitbürgern aus anderen Kulturkreisen. Hintergrund waren anhaltende Übergriffsereignisse während der 1990er Jahre, eine Stammtischangst vor "Überfremdung" und die populistische Nase von Politikern, die Themen zur eigenen Bedeutungs- Karriere- und Öffentlichkeitssucht hochspielen, welche im Sinne des Wohls der Gesamtgesellschaft besser klein gehalten und aufklärerisch verantwortungsvoll behandelt würden. - In unseren Tagen eventuell vergleichbar mit dem schlimmen Populismus eines Thilo Sarrazin in 2010. Wieder zur Integration, welcher nach bewährtem Rezept leider viele Abnehmer und Nachahmer findet.

Mehr und mehr begegnen mir in den vergangen Jahren private Debatten aller Art um Glauben als persönliche bzw. kulturelle Lebensgrundlage. Verknüpfte Themen wie Arbeit, Integration, Schule, Sprache, Öffentlichkeit einfach auf der Straße etc. pp. spielen dabei immer eine Rolle. Im besonderen auch mein stetes Bekenntnis kein gläubiger Christ, sondern ein in Deutschland geprägter Europäer zu sein. Die ablehnenden und intolerant unverständlichen Reaktionen nehmen zu. DAS IST LEIDER MEIN DEUTLICHER EINDRUCK! Andere Lebensentwürfe, Glaubensüberzeugungen, kulturelle Hintergründe werden immer weniger akzeptiert bzw. positiv aufgenommen. Eine kulturelle Auseinandersetzung, die unter der Oberfläche köchelt. NOCH.
Mir macht das nicht so viel aus. Ich fürchte aber für die sich doch stark seit den 90er Jahren durch Zuwanderung und Migration verändernde Gesellschaft. Es entstehen innere Gegensätze und neue Konfrontationen, die ich für sehr gefährlich halte, weil die populistische Verallgemeinerung nur allzu schnell auf den "Nachbarn nebenan ein gleich Stockwerk höher" angewendet werden könnte. Ich habe manchmal das Gefühl, es braucht nur einen Funken. Vereinzelt zunehmende Beispiele zeigen das ja auch.

Auch abseits der Politik engagieren sich gesellschaftlich viele weitere Organisationen gegen z.B. Rassismus. Stellvertretend nenne ich gerne den DFB (Deutscher Fußball Bund), der in dieser Hinsicht sehr präsent und - wie ich glaube - auch wirksam ist, da er diesbezüglich sozusagen gewisse Risikogruppen innerhalb der Fans seiner Sportart erfolgreich anzusprechen versteht (mag dieser Verband in anderen Fragen zuweilen auch mal unglücklich agieren, hier passt es).
HABEN DIE "DEUTSCHE LEITKULTUR" ODER DIE "INTEGRATIONSVERWEIGERUNGSTHESEN" VON SARRAZIN DENN NUN ÜBERHAUPT ETWAS MIT DEM GLAUBEN UND DER RELIGION ZU TUN?
Eigentlich nicht, denn es sind rein gesellschaftliche Themen mit politischer Auseinandersetzung!

Die Problematik der mit dem Zuzug aus anderen Kulturkreisen sich verändernden Gesellschaftslandschaft hat sehr viel und unbedingt mit auf dem Glauben basierenden Fragen in der kulturellen Prägung zu tun. Wenn das nicht so wäre, dann würde der arme Glaube in der Angelegenheit ja nur als vorgeschobenes Totschlagargument herhalten müssen. Das möchte ich nun wirklich unterstellen wollen.
Inwiefern? - Erläuterung, wie ich es wahrnehme:
Aus der Mitte unserer Gesellschaft heißt es, dass die bleibend zugezogenen Gruppen (z.B. Aussiedler, Türken etc. pp.) sich vollkommen integrieren müssten, was aber häufig verweigert würde, in dem deutsche Sprache, Gebräuche, historisches und gesellschaftliches Wissen u.s.w. nicht entsprechend angenommen würde. Beispielhaft kommt es dann nicht selten zu Thematiken, welche schließlich irgendwo mit Religion zu tun haben, wie etwa dem schon "berühmt berüchtigten Kopftuch".
Ist das aber wirklich so? Verweigern allzu viele Migranten die Integration in unsere Gesellschaft?

Ich denke nicht, dass Menschen, die zu uns kommen, nichts von Deutschland und seiner Kultur wissen wollen! Das ist nicht so. Sie wollen aber andersherum auch angenommen werden als das was sie sind und zu uns mitbringen. Ich denke vielmehr, dass genau an dieser Stelle sich genau mindestens 50 % eines Integrationsproblems wiederfinden, wenn dies überhaupt in der vorgebrachten Art und Weise bestehen sollte:
Sind wir Deutsche überhaupt willens Mitbürger aus anderen Kulturen als der unseren zu integrieren? Müssen die Zweifler, müssen diejenigen, die von "Überfremdung" und solchen Dingen sprechen nicht obligatorisch ebenfalls einen Kurs besuchen, um ihrerseits zu lernen mit der neuen multikulturellen Gesellschaft zu leben?

Dinge des Glaubens sind dabei eigentlich eine Selbstverständlichkeit und ebenso selbstverständlich ohne Vorbehalt zu respektieren. - Der Eine ist in diesem Glauben erzogen, der Andere in Jenem; im Grunde stünde nur an, sich das Essentielle gegenseitig nahe zu bringen, oder Unterschiede zu diskutieren, aber gewiss nicht, dem Einen das Leben genau damit schwer bzw. madig zu machen.
Ich sage in meiner zutiefst persönlichen Wahrnehmung: Wer im Glauben andere nicht respektieren kann, der verdient dann auch keinen Respekt vor seinem eigenen Glauben! Eine ziemlich traurige Erfahrung, die ich selbst als bewusst nicht christengläubiger deutscher Mensch mit aus meiner Perspektive nur sogenannten äußerst gläubigen Christenmenschen machte. Gewissermaßen eine Enttäuschung, denn ich hoffte und hoffe immer auf Anderes.
Wir sollten in unserer Gesellschaft nicht nur Integration (mit z.T. absurd schlimmen Aussagen!) fordern, sondern sie endlich auch einmal gesellschaftlich ernst gemeint (nicht nur Unterbringung etc.) anbieten, vorleben und uns v.a. selbst ein wenig ändern bzw. bewegen.
MEIN GLAUBE IST AUCH MEINE KOPFTUCHTOLERANZ
Unter anderem!

Auch wenn ich mir hiermit jetzt Gegner mache: Das Rumgemache zur Unterdrückung der islamischen Frau (gibt es natürlich z.B. in den Staaten am Golf) im Kontext dieser Kopftuchdiskussion hier in D ist nichts anderes als ein Totschlagargument und zudem sehr bescheidene Heuchelei. Diesen von mir bisher wahrgenommenen Wortführern sind islamische Frauen zumeist herzlich egal! Die wollen sich vor allem leitkulturmäßig verkaufen, was nichts anderes bedeutet, als dass hierzulande auch in Zukunft alles öffentlich Warhnehmbare ausschließlich christlicher Symbolik zu folgen hat und nichts anderem.
Ich bin damit nicht einverstanden. Ich würde mich unwohl fühlen mit einem Land, das sich kulturell nicht bewegen mag.

Meine Uroma kannte ich als Kind nicht anders als mit genau einem solchen Kopftuch. Und die war nachweislich keine Muslima! Es ist erst wenige Jahrzehnte her, dass Frauen in unserer Gesellschaft wie selbstverständlich mit dem Kopftuch herumliefen, und jetzt echauffieren wir uns darüber?! - Wir haben hier ein "totschlagendes Stellvertreterthema" für Intoleranz und so etwas wie einen Kulturkampf aus Angst oder nur Unbehagen vor Kultur- und Glaubensdingen, die eben anders sind.
ES IST KLAR: Wer zuzieht muss Integrationsbereitschaft mitbringen! - Wer aufnimmt, muss allerdings ebenso Bereitschaft aufbringen zu integrieren!
UND WAS IST NUN DIESE INTEGRATION?
Ganz bestimmt ist es nicht die Aufgabe von Herkunft, Prägung und kultureller Identität. Ich glaube vielmehr, dass es das Annehmen der neuen Heimat und der Menschen darin ist mit einem eigenen konstruktiv hinzufügenden Beitrag. Und ich glaube, dass es das ehrliche Aufnehmen von Menschen und das Kennen- bzw. Dazulernen ist und sein muss, damit die Gesellschaft an diesem Punkt Zukunft hat.
Eine Lehrerin mit Kopftuch ist keine Gefahr für unsere Kinder, sondern an bestimmten Punkten ja vielleicht auch eine kulturelle Bereicherung, die mithilft, unsere Kinder auf die Welt von morgen vorzubereiten.
Gleiches gilt natürlich auch für zum Beispiel türkische Schülerinnen. Warum sollte ich ein Problem mit einer Kopftuch tragenden Freundin meiner Tochter haben?

Ich selbst lebte etliche Jahre lang in Südfrankreich wo meine Freundin und ich durchaus die Erfahrung machten, dass wir - obgleich beide Mitteleuropäer - unterschiedlichen Kulturkreisen, Prägungen und Hintergründen entstammten. Z.B. haben wir zu Kopftüchern an der Schule unterschiedliche Ansichten, zur Burka hingegen nicht. Es geht wirklich nur mit Toleranz und Akzeptanz dafür, dass man verschiedene Wurzeln hat. - Für mich war es immer wichtig das Lebensgefühl der Menschen, die mich aufnahmen, kennenzulernen und davon so zu profitieren wie die Menschen gleichsam von dem profitierten, was ich hier oder dort auch mit- und einbringen konnte.
Voneinander lernen, gegenseitig annehmen, sich vertrauen, sich an die Regeln halten und neugierig sein. Dann funktioniert Integration ohne größere Störungen. Beide Seiten müssen es eben genau dort tun, wo sie in Berührung miteinander kommen. Das ist so einfach wie logisch; davon bin ich überzeugt.
SO EIN KOPFTUCH IST DOCH NUR EIN STÜCK STOFF !
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