Freitag, 21. Oktober 2011

Zwischenruf zum Tod eines Beduinen (KW42 / 2011)


Es ist die Nachricht an diesem Donnerstag im Oktober. Muammar al-Gaddafi ist in seiner Heimatstadt Sirte gefunden, gestellt und schließlich getötet worden. Die Versionen über das wie und auf welche Weise sind je nach Informationsinteresse zwischen Nato und Rebellen noch recht widersprüchlich.

Es ist die Nachricht des Tages, aber die Welt nimmt sie dennoch recht emotionslos und gelassen entgegen, weil natürlich längstens irgendwann erwartet. Mir ergeht es genauso, ich nehme die Nachricht auf eben diese Weise wahr.

Mit dem gleich nächsten Gedanken erhoffe ich mir allerdings, dass das Sterben in diesem mittlerweile bald schon endlosen Kampf um die Befreiung von dem Regime des Despoten nun endlich ein Ende haben wird, denn es zeichnet sich psychologisch die Perspektive ab, dass mit dem Tod des Diktators der letzte Sinn dieses Kampfes erlischt. - Das wäre dann in der Tat die richtig gute Nachricht des Tages.

Gaddafi, dieser Mann, der – anders als die ehemaligen Machthaber in Tunesien und Ägypten – kein Einsehen in das Ende seiner Herrschaft haben wollte, sondern schon zu Beginn des Aufstandes gegen ihn ankündigte, dass er notfalls bis zum Tode das eigene Land in Blut tauchen würde. Na ja, das hat er dann auch bis zum Schluss durchgezogen. Eine letzte, grausame Schäbigkeit dem eigenen Volk gegenüber. Gut, dass es vorbei ist.

Mögen alle Libyer – ob vormals auf dieser oder jener Seite – ab dem kommenden Tag nun damit beginnen, die Wunden zu versorgen und an der Zukunft wie auch der inneren Eintracht ihres Landes zu arbeiten.

Ich weine dem Typen Gaddafi weiß Gott keine Träne nach, aber natürlich ist der gewaltsame Tod eines Menschen auch niemals Anlass zum Jubeln. Egal ob durch Unfall, Mord, Krieg, Totschlag etc., das gewaltsame Ende eines Lebens ist immer schlimm. Im Fall Gaddafi kommt der moralisch schwierige Umstand hinzu, dass sein Tod sehr wahrscheinlich das gewaltsame Ende vieler anderer Menschen verhindern wird. Dafür werde ich dankbar sein, … aber den unnatürlichen Tod feiere ich trotzdem nicht. Ich hoffe, das ist zu verstehen.

Wie erinnern wir uns an Gaddafi? – Die Älteren unter uns wahrscheinlich an seine früheren Bemühungen um die Führerschaft in der arabischen Welt, gipfelnd in grässlichen internationalen Attentaten (z.B. Lockerbee 1988, Disco LaBelle/Berlin 1986), dazu Heimstatt sogenannter Terrorcamps in der Wüste, bevor die später weiterzogen. Dann die geläuterte Kehrtwende aufgrund strategischer Erfolglosigkeit und sicher auch, weil andere arabische Staaten mit ihren Westbündnissen besser dastanden. Nicht zuletzt wegen des gewinnreichen Geschäfts (Öl & Gas), das – wer will es bezweifeln – die großen Handlungsmotive der Welt seit dem Ende des eisernen Vorhangs prägt. Dazu die Exzentrik dieses Mannes, der mitunter auf Staatsbesuch im Beduinenzelt campierte.

Meine persönlich älteste Erinnerung an Gaddafi ist die Aufnahme des ugandischen Schlächters (damals sein „Bruder Oberst“) Idi Amin in seinem Reich. Das war in den 70er Jahren und Gaddafi noch ein junger Diktator, von denen es zu jener Zeit sehr viele gab auf dem afrikanischen Kontinent, dessen Länder gerade erst nach und nach die koloniale Unabhängigkeit erlangt hatten. Schlecht vorbereitet und zumeist mit jenen tragischen Folgen, wofür den ehemaligen Kolonialmächten durchaus einiges an Mitverantwortung anzurechnen wäre.

Die Menschen in Libyen empfinden und erinnern sich wahrscheinlich ganz anders: Unterdrückung, Angst, Unfreiheit der Meinung, Pfründe für die Willigen, maßlose Gier, Folter, Gewallt, Willkür und alle Merkmale, die die Eigenschaften der Tyrannei beschreiben.

Abgesehen vom Umgang des Westens und der Welt mit Gaddafi, sind noch ein paar kritische Worte zum Verlauf dieses Bürgerkriegs an seinem voraussichtlichen Ende angebracht. – Die Ausgangslage war schon zu Beginn des Jahres in ihrem ganzen Ausmaß klar, wurde mit politischen Statements auch beschrieben, … aber doch im Leid der betroffenen Menschen ignoriert. Ich behaupte bewusst, denn das absehbare Drama der kommenden Gewalt war bereits vielfach bekannt in der Geschichte der Welt.

Ketzerische Rechnung: Wie viele Menschen sind in diesem Bürgerkrieg gestorben, wie viele verletzt worden? Wie viele Existenzen sind sozial oder wirtschaftlich vernichtet? – Statt irgendwann im März oder April mit dem Bomben auf die Köpfe der Leute anzufangen, hätte man nicht genauso gut schon im Januar oder Februar das Regime beenden können, in dem man mit einer einzigen Kommandoaktion den Kopf vom Rumpf trennte? Das wäre sehr möglich gewesen. Ohne Gaddafi und die Seinen kein blutiger Krieg über 8 Monate. Ich bedaure jede Gewalt, aber in Abwägung der Alternativen hätte ich hier ein solches wirklich entschlossenes Verhalten vorgezogen. Das Regime wäre ohne dieses Gemetzel zu beseitigen gewesen, aber wie Militärszenarien es nun einmal vorsehen und beschreiben, werden in unseren Tagen das eigene Risiko höher bewertet als mögliche Kolateralschäden. – Im Grunde völlig korrekt gedacht, aber eben doch auf Kosten des Leids und menschlichen Verlustes im Rahmen eines solchen Dramas? Sehr, sehr fragwürdig, menschenverachtend und die verantwortlichen Entscheidungsträger wussten mittels ihrer Szenarien darum.

Hoffentlich erlebt dieses reiche, aber geschundene Land nun seinen „arabischen Frühling“ und einen langen Sommer dazu. Hoffentlich finden die Menschen zur Versöhnung miteinander und zur Heilung ihrer Gesellschaft.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen