Donnerstag, 3. November 2011

Thema 4: Die Sache mit dem Sonnenfeuer (KW44 / 2011)


Als Otto Hahn gemeinsam mit Fritz Straßmann am 17. Dezember 1938 eher zufällig die Kernspaltung eines Uranatoms gelang (eigentlich suchte man nach dem Neutronenbeschuss des Kerns einen bestimmten Stoff), welche dann später von Lise Meitner aus dem Exil heraus erläutert wurde, ahnten diese Wissenschaftler sicher nicht, was sie da für einen Prozess mit gravierenden Folgen für die ganze Menschheit in Gang gesetzt hatten.

Otto Hahn immerhin war später entsetzt über den Bau von Kernwaffen und setzte sich bis zu seinem Tod für ihre Ächtung bzw. auch gegen die vielen Testexplosionen ein. Aber es half ja nix: Das Sonnenfeuer war angezündet worden und ist bis auf den heutigen Tag nicht gelöscht!


Hier einige meiner Gedanken.

(1)    Atomwaffen

Gerade jetzt wurde in der vergangenen Woche (Ende Oktober 2011) die letzte Megabombe des kalten Krieges endlich auseinander genommen. Eine Bombe mit der 600fachen Sprengkraft der Hiroshimabombe „Little Boy“, … was bitteschön hätte man wohl vorgehabt mit einer solchen Monstrosität, etwa ein Loch in den Planeten zwischen Ost und West sprengen mit Steinzeitkulturen auf beiden Seiten?

Dazu passt der gleichzeitig 50ste Jahrestag der sogenannten „Zar-Explosion“, welche die Sowjets seinerzeit veranstalteten, weil die Amerikaner mit „Ivy-Mike“ in Sachen Wasserstoffbombe schon vorgelegt hatten. 3.800 Mal Hiroshima, eine Druckwelle mit über 1.000 Kilometern im Radius, ein Atompilz 64 Kilometer hoch bis im Grunde ins Weltall hinein, eine atmosphärische Verstrahlung, die wohl niemals richtig erfasst wurde, wie krank war das denn!!

Wer braucht denn da noch Naturkatastrophen oder Asteroiden, welche die Erde treffen könnten?!

Gut, dass dieser Irrsinn in großer Eskalation nun vorbei zu sein scheint!! Sehr gut! – Allerdings teile ich ganz und gar nicht die selbstgerechte Ansicht ehemaliger kalter Krieger, dass allein dieses ihr Wettrüsten unter der Prämisse „Gleichgewicht der Kräfte“ letztendlich den Weltenbrand verhindert habe. Ich denke vielmehr – vereinfacht ausgedrückt – dass eine historisch irrwitzig glückliche Kombination aus Systemschwäche (Sowjetkommunismus) bei gleichzeitig gerade zu diesem Zeitpunkt besonnen handelnder Protagonisten zusammen gekommen ist. Das hätte sich auch anders ausgehen können, wie es in der Geschichte viele Beispiele zusammenbrechender Systeme zeigen. Stellt Euch nur einmal vor, es wäre damals nicht die Administration Gorbatschow am Drücker gewesen, sondern Typen wie einst Stalin und Konsorten. Schmidt und auch Kohl könnten sich heute sicher nicht mehr in Büchern dazu auslassen, wie erfolgreich ihre Politik der Stärke gewesen sei.

Ich halte es da eher mit Brandt, dessen Auftreten auf dem Parkett zwischen Ost und West dazu betrug, die ständige Eskalation am Rande des konkret ausbrechenden Krieges deutlich herunter zu fahren, in dem er Dialog und Entwicklung mit sichtbaren Effekten an deren Stelle setzte. Und dies aus dem damals weltpolitisch nicht selbständigen Mündel Deutschland heraus. Wenn Historiker eines Tages mit dem gebührenden zeitlichen Abstand über das Wort „Entspannungspolitik“ hinaus forschen und bewerten, wird ziemlich genau diese Bedeutung nachhaltig zu würdigen sein. Später – inzwischen längst Halbprivatier (bzw. nur noch Abgeordneter, Vorsitzender von SPD & sozialistischer Internationale) – hat Brandt praktisch unbemerkt von Öffentlichkeit und handelnder Politik die Chance ergriffen, als Gorbatschow völlig an seinen eigenen Genossen vorbei gleich ab 1985 regelmäßig dessen informellen Rat suchte. Brandt wusste und beeinflusste damals Dinge, nach denen sich alle westlichen Geheimdienste die Finger geleckt, und die ihm wohl auch den Vorwurf des Verrats eingebracht hätten, wie ich vermute. Im Rahmen dieses Kontextes ist dann wahrscheinlich auch diese etwas merkwürdige späte Männerfreundschaft mit Helmut Kohl einzuordnen. Da kannte der Mann nix, wenn es galt, eine politische Lebensarbeit aus seiner Sicht zu vollenden.

Liebe Historiker, wie wäre es? Da steckt so manche ungeschriebene Doktorarbeit im Themenkomplex!

Gebannt ist die Gefahr des Sonnenfeuers als Waffe jedoch noch längst nicht. Machen wir uns bitte nichts vor. Das Arsenal der Atomwaffen besteht weiter. Die Bomben sind vielleicht wieder kleiner geworden, aber eben auch moderner und nicht weniger fies. – Man fragt sich natürlich, was für eine Art Krieg das sein soll, in dem Militärs solche Waffen verwenden könnten? Ich bin sicher, dass es niemanden gibt, der da eine vernünftige und nachvollziehbare Erklärung geben könnte.

Auch ist nicht zu erkennen, dass eine der existierenden Atommächte an diesem Status etwas ändern wird. Nicht nur die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und immerhin Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages – Äh, wenn man sie eh nicht einsetzen wird, wieso dann überhaupt? – besitzen diese Waffen, sondern auch Länder wie Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel. Iran versucht sie zu wohl bauen, denn AKWs zur Deckung seines Energiebedarfs braucht dieses Land nicht. Vielleicht auch Syrien, wer weiß?!

Ich finde, das gibt nicht nur Anlass zur Sorge, sondern macht richtig Angst. Was, wenn in einem instabilen Land wie Pakistan das Chaos ausbricht oder – noch gruseliger – die Taliban dort die Oberhand gewinnen? Was, wenn die Diktatur in Nordkorea zusammenbricht und der Despot beschließt, nur mit Mann und Maus im großen Sonnenfeuer verbrennen zu wollen? Was, wenn das eine oder andere Bömbchen mal versehentlich abhanden kommt oder schon längst abhanden gekommen ist, … mit waffenfähigem Plutonium passiert das ja auch? Was, wenn es zu einem GAU auf einem atomgetriebenen und vor Waffen starrenden U-Boot oder Flugzeugträger kommt?

Könnte schon sein, dass wir alle bisher viel mehr Glück als im wahrsten Sinne des Wortes Verstand hatten.

Ich erinnere mich noch an Obamas Auftritt in Prag 2009 vor großer Kulisse, als er pathetisch verkündete, das Ziel einer atomwaffenfreien Welt verfolgen zu wollen. Seitdem aber geschah eigentlich nichts außer einem neuen START-Abkommen zur Reduzierung auf 1550 Sprengköpfe (wie oft kann man jetzt mit diesem Miniarsenal den Planeten zerlegen?), das eher die Folge von Anpassungsstrategien ist. Angesichts der Ernsthaftigkeit des Themas schade, es war wohl mehr eine Bewerbungsrede auf den Friedensnobelpreis.

Weil mit dem Auseinanderbauen einer alten Bombe des kalten Krieges noch nicht wirklich etwas passiert ist, bleibt also viel zu tun bzw. etwas anzufangen. – Wenn also jemand eine Idee dazu hat, wie man vor allem die unsichersten Kandidaten vom sich von der Bombe trennen bewegen kann, nur her damit, ich leite es gerne an Herrn Obama weiter.

Selbst würde ich zunächst eine Uno-Sondierung und Konferenz der betroffenen Staaten vorschlagen, mit dem Ziel eines unabhängig kontrollierten Vertrages. Mindestens Indien und Pakistan müssten ein elementares Interesse haben, denn die Bombe bedroht beide Länder sehr unwägbar. Eigentlich auch Israel, denn – Hallo – wie gefährlich ist das denn heute in gerade dieser Region?! Wisst Ihr, zumindest mal anfangen, lange genug dauert es sowieso.

Meiner eigenen Regierung würde ich auch anempfehlen, die in Deutschland nach wie vor stationierten Atomwaffen endlich abziehen zu lassen und innerhalb des Bündnisses einen Dialog zu Sinn und strategischem Zweck dieser Geschichten anzuzetteln.

Abschließend noch eine ganz spezielle These: der ganz große Krieg für diese Wahnsinnsbomben und Massenvernichtungswaffen kommt sowieso nicht mehr, denn man würde sich nicht nur latent auch selbst vernichten, sondern – schlimmer noch – die jetzt völlig global verflechteten Wirtschafts- und Finanzströme zerstören, an deren Tropf einfach alles hängt, wie tagtäglich zu begutachten ist. Die Auseinandersetzungen der Systeme, Ideen, Staaten, Regionen sind dabei, sich fundamental zu verändern. So eine Abschreckungsbombe bingt’s nicht mehr.

(2)    Die Kernenergie

War dereinst erst energiepolitischer Heilsbringer und dann Problemfeld aufgrund seiner Hinterlassenschaften, derer man sich nur schwer oder mitunter vielleicht gar nicht entledigen kann. Dazu technologische Gefahren, deren gesellschaftliche Behandlung fast in Glaubensauseinandersetzungen mündete, bis sich die Frage gerade erst in diesem Jahr 2011 möglicherweise endgültig entschieden hat durch eine schreckliche Katastrophe, deren Gesamtfolgen wir noch gar nicht kennen.

Harrisburg, Tschernobyl, Sallerfield, Fukushima. Nur einige zugegeben große Ereignisse im Rahmen hunderter und tausender Störfälle, welche durchaus nicht alle glimpflich abliefen. Auch bei uns in Deutschland, auch bei unseren Nachbarn in Frankreich.

Ich verstehe durchaus die Anfänge der Entwicklung dieser Technologie und die Motive zu ihrer Verbreitung. Kohle und Öl wurden immer teurer bzw. schwierig in ausreichender Menge zu gewinnen, der Energiehunger nach dem 2. Weltkrieg immer gefräßiger und die Kernenergie versprach eine geniale, billige und vergleichsweise saubere Lösung. Erfahrung fehlte und Strahlungsfragen waren noch nicht untersucht; man braucht sich ja nur einmal die alten Bilder der Atombombentests anzusehen. Die Entwickler und Unternehmen waren zudem in ihrer Begeisterung allenthalben nicht zu stoppen.

Soweit.

Als aber Menschen anfingen Fragen zu stellen im Rahmen der Späteffekte jener Generationenauseinandersetzung 67/68 und weil das Wissen um die Technologie und ihrer Risiken/Probleme ebenso zunahm wie ihre Verbreitung, reagierte man politisch und wirtschaftlich unwirsch bis sogar feindlich. Ob es daran lag, dass man um den wahren Kern der nicht dauerhaft zu beherrschenden Gefahren wusste, kann ich nicht sagen, aber die Auseinandersetzung war so. Eine regelrechte Antiatomkraftbewegung ist überhaupt erst dadurch entstanden, weil so überempfindlich mit Kritik umgegangen wurde. - Im größeren Kontext hat dieser Aspekt das erfolgreiche Zustandekommen der Grünen in der Parteienlandschaft sehr befördert, was die Etablierten sich damals nicht einmal ausmalen konnten. Allen voran die SPD, die es gerade aus der eigenen Geschichte heraus hätte besser wissen müssen. Wäre ohne die Antiatomkraftkiste (auch Friedensbewegung / Nato-Doppelbeschluss) vielleicht nicht passiert.

Ich behaupte das alles deshalb so bestimmt, weil ich als Jugendlicher an einem gewissen Punkt ein Stück weit mittendrin gewesen bin. Und zwar auf beiden Seiten. Mein Vater war zwischen 79 – 86 einer von drei Geschäftsführern der DBE, also jener Gesellschaft, die Gorleben, Schacht Konrad und anderes (nicht Asse) betreibt, zuständig für die Erkundung des Salzstocks dort unter Tage, dem geplanten Endlager. Die anderen beiden GFs beschäftigten sich mit den Anlagen über Tage (der heute so umstrittenen Zwischenlagerung) und der Verwaltung. Ich bekam in diesen Jahren einiges mit auf beiden Seiten aufgrund der eigenen sozialen und politischen Orientierung, aber dazu schreibe ich ein anderes Mal etwas. – Nur soviel, es gibt wahrscheinlich nicht viele Menschen, welche die festungsartig errichteten Bohrstellen mit Betonplatte, Flutlicht und Wasserwerfern detailliert von beiden Seiten und Perspektiven aus erlebt haben.

Die Bewegung war groß, ihre Wahrnehmung deutlich, die Grünen etablierten sich sogar im Bundestag und scheibchenweise in Landesparlamenten, Harrisburg und Tschernobyl geschahen, aber es änderte sich nichts. Man wurde polemisch-rhetorisch als naiv belächelt und abgetan. Die Bewegung ausgesessen, bis sie an Kraft verlor. Ein paar Innovationen wie Mülltrennung, Gründerinitiativen (Windräder, Solarentwicklung etc.) und Patente nahm man gerne mit. Wirtschaftsinteressen und Lobbyismus obsiegten oder es schien zumindest so, als ob sie das tun würden. – Allerdings, und das geschieht in der Geschichte seit Anbeginn unserer Aufzeichnungen, lassen sich weder die Wirklichkeit noch die Natur auf Dauer betrügen.

Ich habe dann doch in diesem Frühjahr (2011!) regelrecht Bauklötze gestaunt, als im Angesicht der Fukushima-Katastrophe die immerhin promovierte Physikerin Merkel sichtlich betroffen den deutschen Ausstieg aus dem Ausstieg vom Ausstieg der Kernenergie mit zunächst einem Moratorium einleitete. Die dolle Laufzeitverlängerung war da keine 5 Monate alt! Haben die im Ernst geglaubt, dass das alles so vollkommen sicher sei, … bis die Befürchtungen und Szenarien der Atomkritiker jetzt genau so eingetreten sind? Was bitteschön soll man davon halten und wie soll man diesen Leuten in auch anderen wichtigen Fragen und Entscheidungen Vertrauen entgegen bringen?

WER – FRAGE ICH – IST HIER NAIV?!

Immerhin. Ich halte es Menschen zugute, sich zu korrigieren. Der Schock war wohl groß, und zumindest das ist am Rande des furchtbaren Unglücks ein erstes konstruktives Ergebnis. – Man kann jetzt hoffen, dass der Ausstieg aus der Kernenergie dann wirklich 2020 – 2022 kommt. Zuvor war das trotz Beschluss wegen der unterschiedlichen Regierungsprämissen nicht so klar. Immerhin.

Von dem wirtschaftlichen Effekt der Beförderung neuer Energiewege gar nicht zu reden. Da kommt jetzt was in Gang, … es kann halt nicht schaden der Wahrnehmung auch naiver Menschen einmal etwas Aufmerksamkeit zu schenken.

Aber es reicht nicht! Frankreich zum Beispiel direkt nebendran hängt mit 70 Prozent seines Energiebedarfs trotz diverser Probleme an der Atomkraft und denkt gar nicht an ein Umdenken. Die Sache muss man komplexer angehen, … hören Sie zu, Frau Merkel? Wir alle brauchen einen größeren Plan, der den Atomkraftstaaten fetzige Angebote macht. Einsicht allein tut’s nicht.

Japan (ausgerechnet!) ist/war auch so ein Land, das nichts von der Atomkraft abzubringen schien (trotz zweier Bomben 45). Jetzt aber, nach fast 8 Monaten Katastrophe und anhaltender Verzweiflung im Kampf gegen die Folgen, überlegt man nun doch aus der Sache auszusteigen, … wegen der leidvoll erlebten Erfahrung. Wenn das in diesem Land gehen sollte, dann geht auch sonst wo etwas! Hören Sie zu, Frau Merkel? Tun Sie etwas! Sie sind doch laut Erhebungen die mächtigste Frau der Welt. Wenn man auf sie hört, dann tun Sie bitte etwas. Im Interesse von uns allen. – Ist natürlich nur übertragend gemeint, denn Sie lesen dies ja nicht.

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Das Sonnenfeuer ist noch längstens nicht gelöscht. Weder militärisch noch energiemäßig. Dabei ist beides von gestern. Wir sollten das neben der Ablenkung durch andere aktuelle Geschichten (z.B. Griechenland-Chaos) nicht aus den Augen verlieren. Man muss nicht immer auf das nächste Unglück warten, auch Einsicht kann etwas bewegen.

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