Dass das Politiker-Sein in unserem komplexen Gesellschaftssytem einen Fulltimejob mit sich bringt, ist unbestritten. Aber gibt es deshalb gleichwohl auch den Beruf des Politikers, wie ihn die meisten Parlamentarier für sich verstehen und auch bedenkenlos verbal transportieren? - Eine Quittung aus dem Volk.
Früher gab es die Berufsbezeichnung "Politiker" jedenfalls nicht. Ach was! Was heißt hier früher, noch vor vielleicht drei Jahrzehnten war das völlig unbekannt. Die meisten politisch öffentlich tätigen Menschen hatten einen richtigen Beruf, den sie häufig sogar neben dem Mandat noch konkret ausübten oder weiter verfolgten. Höchstens für ein gewähltes oder berufenes Amt ließ man das zeitweise ruhen.
Sicher, manchen Biografien war es beschieden, dass sie ihr ganzes tätiges Leben mit Aufgaben in der Politik verbrachten, häufig dann auch über jede Pensionsgrenze hinweg, und es war immer noch eine Sache der inneren Berufung - also der echten Überzeugung - und nicht eine des Berufs oder des persönlichen Profits. Vielleicht eine Angelegenheit von Geltungssucht, das kam vor, weil es nur menschlich ist, blieb aber doch eher die Ausnahme.


Heute und in unserer gegenwärtigen Zeit ist es so, dass selbst der Bürgermeister einer mittelgroßen Dorfgemeinde bereits kompletter Berufspolitiker ist und sich als solchem mitunter schon in jüngsten Jahren von vorne herein versteht bzw. sich auch nichts Unethisches oder Falsches an diesem Bild vorstellt. Kein Vorwurf an individueller Stelle, aber es ist aufs Ganze gesehen natürlich nicht mehr richtig und tut unserer Gesellschaft nicht gut.
Warum mögt Ihr fragen? Ich sag's Euch! - Weil der Berufspolitiker seine eigentliche Aufgabe als Dienst an der Gesellschaft mit der Zeit nicht mehr wahrnimmt, sondern diese Aufgabe eben funktionell als Beruf versteht und damit dann eher die eigene Karriere darin als das tatsächliche Gemeinwohl verfolgt.



Solcherlei politische Momente gibt es jetzt so viele, dass es längst nicht mehr der Sündenfall einzelner schwarzer Schafe ist, sondern ein fest installiertes Getriebe inmitten unseres politischen Systems. - Spontan erinnert man sich gerne an den mit Abstand wichtigsten Punkt der Koalitionsverhandlungen 2009, nämlich den ermäßigten Steuersatz für das Hotelfachgewerbe. Es kann nur ein Schelm sein, der Böses denkt bei der massiven Unterstützung dieses Gewerbes für eine politische Partei.


Vor über 20 Jahren diskutierte ich mit dem OB der Stadt, in der ich mit Unterbrechung heute wieder lebe, auf einem öffentlichen Podium über die Frage, ob die Politik und ihre Politiker sich die Schuhe für Missstände bis gesellschaftliche Schieflagen wohl anziehen müssen, ob ein OB hier auch persönlich in der Verantwortung sei. Der Mann lehnte das empört ab und erregte sich auf das allerheftigste. Man könnte es für einen Einzelfall halten, wenn man dazu erwähnt, dass dieser OB gerade mal ein Jährchen später oder so das Kunststück fertig brachte, von der SPD zu den damaligen Republikanern zu mutieren.
Eben kein Einzelfall. Ich griff das Motiv in den folgenden Jahren immer wieder in Gesprächen und Kontakten mit Politikern (z.T. auch solche, die damals Spitzenpolitiker waren) verschiedenster Parteien von Grün bis CSU auf. Zugegeben, ich fragte und argumentierte ketzerisch, wie es sich für einen jungen Menschen wohl gehört, aber schließlich war es nur ein Einziger, der sich im Kontext seines politischen Mandats auch zu Dingen wie Folgeverantwortung und z.B. Vorbildfunktion bekannte. Das war der SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dressler (für den spätestens in der Schröder SPD kein Platz mehr war), dem ich das auch rückhaltlos abnehme.
Das Entwicklungsphänomen ist also nicht so neu. Nur hat es in früheren Jahren nicht den Gesellschaftsfrieden in der Weise bedroht, wie es heute zum Ernstfall geworden ist. Möglicherweise ist ein kleiner und zu lange wenig beachteter Konstruktionsfehler im politischen System die Ursache dafür. Es hat sich nämlich nach zwei Jahrzehnten BRD ziemlich klar herausgestellt, dass nur bestimmte Gruppen in den föderalen Politikszenarien weiter kommen konnten, als in den örtlichen Gemeinderat, denn die reale berufliche Existenz vertrug sich nicht mit dem Engagement.
Nach den sowieso politischen Existenzen der Gründerjahre bevölkerten sich unsere Parlamente nach und nach mit hauptsächlich solchen Berufsgruppen, die nach vielleicht nur einer Wahlperiode ohne Probleme wieder beruflich Fuß fassen konnten, also Lehrer, Unileute etc. und Selbständige der Kategorie Anwalt oder z.B. auch Ärzte. Keine Angestellten und Arbeiter. Auch bei den Beamten und Selbständigen keine Verwaltungsleute oder Handwerker etc. pp. Gewiss gibt es die Regel bestätigende Ausnahmen, aber im großen Querschnitt kommt dies für unseren Politikbetrieb seit den 70ern ungefähr so hin. - Das repräsentiert nicht wirklich die Bevölkerung und dieser Gründungsfehler besteht vielleicht darin, keine gesetzlichen Regelungen für eine sichere Rückkehr in das alte Berufsleben geschaffen zu haben. Das Risiko war für die Menschen einfach zu hoch. Eine deutlich weniger üppige Diätenausstattung während des Mandats, dafür aber die Sicherheit im ursprünglichen Beruf könnte ebenfalls ein sehr ordentliches Modell sein! Wenigstens für diejenigen Berufsstände, für die es eine existenzielle Rolle spielt. Oder eine Wahlmöglichkeit bei Mandatsantritt u.s.w.; es gäbe so viele vernünftige Modelle und Varianten.
So kam es dann wohl auch, dass mit der Zeit erst diese Berufspolitiker-Klasse entstand und dann sich der Verlust von Werten gegenüber der politischen Tätigkeit hinzu gesellte. Wegen der nur noch rein beruflichen Einstellung. Die Liste ist bekannt: Verantwortungsempfinden und Nachhaltigkeit gegenüber dem Gemeinwohl, öffentliche Ziele höher zu schätzen als die eigenen Privaten, Sacharbeit und Aufwand in auch Ungeliebtes zu investieren, Konsequenzen persönlich mitzutragen, durch Schwierigkeiten bzw. politische Unwetter zu gehen und sich den entsprechenden Schuh anzuziehen, und so weiter etc. pp. Auch der zweite Listenteil ist bekannt: es fehlt die politische Grundüberzeugung, die Vision, die Idee von dem, was man für Land und Gesellschaft erreichen möchte, es gibt unter den Politikern kaum noch echte Überzeugungen, kein konservativ oder progressiv, kein echtes Links oder Rechts. Schwarz, Rot, Gelb und sogar Grün sind nur noch Farbenspiele und keine gesellschaftliche Auseinandersetzungen zu den Grundlagen mehr. Die Partei dient als reines Transportmittel für die Karriere, und genau so wird auch die Parteienentscheidung getroffen.
Die jüngste Mutation der Berufsspezies Politiker - und das sei hier nun auch der letzte anzusprechende Umstand - raubt einem ja fast den Verstand, so abstrus und absurd ist das. Die Masche der "Röslers" noch einmal beiseite drückend, kommen plötzlich auch noch so Typen wie der Guttenberg daher, die nicht nur wirklich nichts können, sondern von Natur aus doch bisher eher auf Boulevard Titelblättern neben Boris Becker und in Casting-Shows bis peinlichen Reality-Soaps beheimatet waren.
Wahnsinn: In Rekordzeit fragen die Medien "Kann Guttenberg (dieser Schönwetter-Liebling von uns allen) auch Kanzler?" - Ja sind denn alle verrückt geworden!

Unseren Helden aber - den aktuellen Adonis der deutschen Politik - focht das mitnichten an. Sollte es Fehler geben, würde man diese in einer nächsten Auflage (Verfassung und Verfassungsvertrag) korrigieren.
FEHLER?! - Das ganze Ding ist ein einziger geistiger Diebstahl bei anderen, die ihre Zeit und Einsichten in die eigene Arbeit investiert hatten. Nicht einmal ernsthaft umformuliert. Was nicht abgeschrieben war, hat er schließlich vom Wissenschaftsdienst des Bundestages füllen lassen. SELBST DER EINLEITUNGSTEXT IST PLAGIAT! So wurde mit noch einer satten Spende aus dem wohl nur mäßig begabten Studi ein Summa-cum-Laude-Doktor. Und der Mann stellt sich dazu ins Fernsehen und faselt von Familie, Beruf, Kindern und Mehrfachbelastungen.
Das ist an Dreistigkeit echt nicht mehr zu toppen! Einfach widerlich! Der spuckt auf Menschen, die das, was sie machen ernsthaft betreiben und gut machen wollen.
Gesellschaftsmehrheit, Politik, Kanzlerin, Uni u.s.w. Tut sich da jetzt bitte etwas? Leider totale Fehlanzeige! Wer will diesem tollen Star der Politik schon ans Bein pinkeln und am Ende evtl. doch nur der gescheiterte Königsmörder sein. So musste oder durfte der etwas Gestrauchelte eine Schamzeit nehmen, um neu erschaffen und strahlend wiederkehren zu können. Das ist es wohl, was wir gerade als vorzeitige Bescherung erleben. Gerade mal 7 - 8 Monate sind vergangen.

Unterm Strich: Der Mann ist wieder da! Dabei hat er den Flieger übern Teich noch gar nicht bestiegen.
Geben wir diesem Trend am Ende nach, dann ist unsere Politik endgültig nur noch eine Spielwiese, die man sich nach Maß zurecht kaufen kann. - Im Sinne der unleidlichen Rating Diskussionen (Bonität von Staatsanleihen) erreicht Deutschland dann auch alsbald diesen sogenannten Ramschstatus.

Unser Gesellschaftssystem mit all seinen Gemeininteressen, unser Staat, unser Politikbetrieb, den wir uns geben und pflegen, das sind keine Gegenstände der öffentlichen Unterhaltung, sondern die essentielle Grundlage unseres gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Verlieren wir doch bitte nicht den Blick dafür und werfen es nicht einfach so weg!

Ich dachte mir damals: Aha! Einer von vier Äpfeln ist offensichtlich faul. Es steht zu befürchten, dass diese freundliche Rechnung heute längst nicht mehr stimmt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen