Sonntag, 6. November 2011

Thema 5: Das Nichtraucher-Phänomen (KW45 / 2011)



12 Uhr. Sonntagmittag. Internationaler Frühschoppen. Absoluter Kult.

Rauchschwaden wabern durch das Studio. Schemenhaft aus dem Dunst heraus erklären Stimmen mit Akzent die Vorgänge in der Welt. Unverwechselbar mittendrin Werner Höfer, dessen Äußeres immer ein wenig an Robert Lembke erinnerte, während das langsam bedächtige Dozieren dagegen  einmalig bleibt in der deutschen Fernsehgeschichte. – Dieses Gequatsche ist mir in der Erinnerung viel präsenter geblieben, als die benachbarte Maus, in der wahrscheinlich niemals erklärt wurde, wie Zigaretten gemacht werden.

Es gab tatsächlich einmal eine Zeit, da wurde einfach überall geraucht. Im Fernsehen, im Bundestag, in Ämtern und Schulen, in heimischen Wohnzimmern, in Flugzeugen und Zügen, auf der Arbeit, in Kneipen und in Geselligkeit sowieso. Einfach überall. Wurde es ein bisschen stickig, hat man das Fenster kurz aufgemacht.

Nach den Hamster- und Schwarzmarktjahren als Zigaretten so etwas wie einen aus der Not geborenen Währungsersatz (Systeme erschaffen sich selbst / Chaos-Gedanke) darstellten, waren sie kurz darauf wiederum zu einem der sichtbarsten Markenzeichen von Wirtschaftswunder und neu errungenem Wohlstand geworden. Man rauchte Ernte 23, HB, Stuyvesant, Roth-Händle, Dunhill, später ganz modern dann West und Camel bzw. Marlboro natürlich auch. Im Osten waren es f6, Karo etc., im Westen wurde Reemtsma wurde reich.

Hey, was waren das für Zeiten! Ludwig Erhardt kennt man gar nicht anders als mit seiner Zigarre, während Ende der 90er Jahre ein Gerhard Schröder, der seine Kanzlerschaft erst einmal zu genießen gedachte, für ein Foto mit Zigarre im Kanzleramt am Schreibtisch heftig gescholten wurde. Bei mir zu Hause wurde auch immer geraucht, d.h. mein Vater tat es; meine abstinente Mutter war die Ausnahme von der Regel. Man kann es sich heute nicht mehr vorstellen. Wenn wir sonntags einen Familienausflug unternahmen oder mit dem Wohnwagen in Urlaub fuhren, war das vollbesetzte Auto selbstredend vollgequalmt. Kein Mensch thematisierte das. Ich holte als Kind meinem Vater Zigaretten aus der Bergwerkskantine für 2 DM / Schachtel; Euromäßig wahrscheinlich kaum in Cent messbar, denn neben der Umrechnung sind da ja auch fast 30 Jahre Kaufkraftunterschied.

Dass Helmut Schmidt ein Kettenraucher war, kümmerte niemanden. Natürlich zündete er sich bei der ersten Fernsehdiskussion des deutschen Wahlkampfs 1976 eine nach der anderen an und nahm zwischenrein einen Typ namens Helmut Kohl fachgerecht auseinander.

Heute ist er der berühmteste Raucher der Welt und wahrscheinlich der einzige Mensch im Universum, der öffentlich und im Fernsehen (außerhalb von Filmen) geduldet rauchen darf, … selbst in den USA.


Bekenntnis: ich selbst habe das Rauchen mit 17 begonnen. Wegen einer frühen Freundin, die mich mit der Kifferei bekannt machte. Bei dieser Art von Genusstätigkeit ist das Rauchen sozusagen Nebenwirkung. Das soziale Rumgemache und Coolgetue rund ums Kiffen ödete mich schnell an und beeindruckte mich kein bisschen bzw. ich fand heraus, dass die Suche nach Bewusstseinserweiterung nicht durch irgendeine Art der Chemie befördert werden kann, sondern viel erfolgreicher mit dem persönlichen Bemühen darum verbunden ist. – Andere Geschichte. – Nichts desto trotz, das Rauchen ist geblieben. Diverse Versuche damit aufzuhören in den 90ern blieben erfolglos. Joggen, der Druck von erst Freundin und dann Eheweib, Akkupunktur. Es half nichts, ich bin offenbar die Art von Suchttyp, der man schon irreparabel auf den Kopf hauen müsste. Auch jetzt, im Augenblick dieser Worte tippe ich mit links (Linkshänder / Zweifingertippse) und qualmt die Kippe in der Rechten.

Wir rauchten also auf unseren Buden, während Partys und Unifeten, sogar im Bett und gerne auch nach der Liebe. – Die öffentliche und innere Veränderung kam schleichend, beginnend irgendwann in den Achtzigern als Folge von Ökologiebewegung und eben sich neu durchsetzendem Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein. Das Abfeiern des wiedererlangten Wohlstandes war vorbei, neue Gesellschaftbaustellen standen an.

Erst ganz harmlos und im Sinn als Fortschritt empfunden. Es ging darum Rücksicht aufeinander zu nehmen, wer könnte etwas dagegen haben?! Öffentliche Orte wurden rauchfrei. Erst Kundenräume, dann auch Büros mit Besucherverkehr. Erst gab es Nichtrauchergeschichten, dann waren es umgekehrt die Raucherecken.

Mein erstes Erlebnis mit kontrovers-unversöhnlicher Raucherdiskussion geht auf eine Fachschaftssitzung an der Uni um 1990 zurück. Rauchen bei einer solchen Sitzung Ja oder Nein (es ging nicht einmal um die Räume der Studivertretung)? Heute kein Thema, aber man muss das aus der Zeit heraus verstehen. Viele Raucher begriffen zunächst von Erziehung und Gewohnheit her nicht, fühlten sich mit so etwas ausgesperrt. Nichtraucher lernten gerade erst den Qualm als Gesundheitsbelastung und damit als Verletzung ihrer Rechte (ich sage aus Versöhnungsgründen nicht „Körperverletzung“) zu definieren. Entsprechend hitzig war das. Sich halt auf Rauchpausen (mein persönlicher Kompromiss) zu einigen, ging einfach nicht. Es musste regelrecht abgestimmt werden. Ich entsinne mich nicht des Ergebnisses, aber eines weiß ich noch: der provokanteste Disputant der Nichtraucher stimmte gegen seine eigene Forderung! – Er wolle ein Zeichen setzen, so sein Kommentar.

Die Sache mit dem Rauch veränderte sich. – Alles wurde rauchfrei: Das Fernsehen, geschlossene Räume in der Öffentlichkeit, Wohnungen, Autos, Restaurants. Fast alles, wo Menschen zusammenkamen. Der Staat entdeckte die Tabaksteuer für sich und generiert seit Mitte der 80er Jahre regelmäßig neue Preisrunden nach oben (nie auch mal umgekehrt, wie ich es in anderen Ländern erlebte). Ende offen.

Ich persönlich – andere Raucher mögen anders empfinden – verstand das alles soweit. Ich wollte und will mit meiner Raucherei niemanden belästigen oder schädigen. Meine Familie nicht, Freunde, Kollegen und auch nicht mir völlig unbekannte Menschen. Es ist kein Problem Rücksicht zu nehmen und z.B. in geschlossenen Räumen mit anderen nicht zu rauchen. Auch das nach Rauch riechen, das meine frühere Frau nicht mochte, habe ich gerne versucht, möglichst klein zu halten. Rücksicht auf seine Umwelt zu nehmen, bedeutet nicht klein bei zu geben, sondern ist eine durchaus erstrebenswerte Tugend.

Heute wird nirgendwo mehr das Rauchen idealisiert oder als cool dargestellt. Selbst in einschlägigen Filmen nicht mehr, wo es nur noch Stilmittel zur Charakterisierung bestimmter Typen ist. Kein Nichtraucher muss sich ernsthaft mehr an einem öffentlichen Ort unangenehm belästigt fühlen. Es ist endgültig vorbei.

Trotzdem – und dies formuliere ich bewusst in dem scheinbar harmlosen Begriff „NICHTRAUCHER-PHÄNOMEN – geht es immer weiter und findet kein Ende. Was zunächst wie ein gesellschaftliches und volksgesundheitliches Korrektiv wirkte, wird in jüngerer Zeit mehr und mehr zu einem missionarischen Kreuzzug (EU-Staaten, USA und andere Ecken) der unangenehmen Art:

§  Per Volksbegehren und / oder Gesetz dürfen Kneipen nicht mehr selbst entschieden, ob oder wie geraucht werden darf (größeres Thema: einfach aberwitzig wie dabei bestimmte Konzepte, ausgewählt kulturelle Geschichten und natürlich Existenzen vernichtet werden).

§  Auf Bahnhöfen muss man sich selbst im Freien nun in ein gelbes Quadrat am Ende des Gleises stellen.

§  Sogenannte Gesundheitsapostel unter den Politikern visionieren immer wieder darüber, dass Raucher einen erhöhten Krankenkassenbeitrag leisten sollen (Na bitteschön! Als gäbe es keine anderen Risikogruppen. Was sagen die einer Frau, deren Mutter und Großmutter an Brustkrebs erkrankten?). Wie bitte, selbst verschuldet? Gerne! Nehmen wir uns doch alle Leberpatienten (Alkohol, Tabletten etc.) vor und die dumm Gestolperten. Warum nicht auch die Depressiven und sonstwie chronisch Kranken, wenn sie nicht ihre Unschuld beweisen können? – Wie lange wir leben und wie intensiv wir behandelt müssen, kann natürlich mit unserem Lebenswandel zusammenhängen. Unbestritten. Oft aber auch – und das geschieht genauso oft bis wahrscheinlich sehr viel öfter – mit dem zufälligen Genmix, den wir mitbekommen.

§  Der von eigener Hand gekrönte Krieger gegen das Rauchen – ich meine den Herrn Sebastian Frankenberger – möchte nach seinem Bayern-Erfolg in Sachen Gaststätten & Kneipen (besuchte er regelmäßig ein betroffenes Lokal und existiert es noch heute?) nun auch das Rauchen auf den Rängen der Fußballstadien verbieten lassen. Geht es absurder? Bitte mal richtig darüber nachdenken! In welcher Weise könnte da im Rauchfall der Fälle eine ernsthafte Belästigung oder gar Gesundheitsgefährdung des Nachbarn stattfinden?

Nur noch eine Frage der Zeit, dass dies tatsächlich kommt. Monsieur Platini und die UEFA haben nämlich eine rauchfreie Europameisterschaft 2012 ausgerufen, welche das Rauchen nicht nur in, sondern auch rund um die Stadien untersagt. Es vertrage sich nicht mit dem Sport. Die Ligen werden nachziehen; das ist ein ungeschriebenes Gesetz im Fußball.  – Ich fordere also: Lasst uns bitte gleich Nägel mit Köpfen machen und sperrt das Bier und die fette Stadionwurst mit aus, damit wir uns sportlich konzentriert auf eine EURO vor halbleeren Rängen freuen können.

Ich empfinde dies (und anderes) als absurd und als jetzt tatsächlich stattfindender Ausgrenzung, welche vernünftige Grenzen überschreitet. Es ist die Aufgabe mitdenkender Menschen (gerade auch Nichtraucher wären gefordert) daraus mit der Zeit keine Hatz werden zu lassen.

Im Privaten stört mich z.B., dass die Mutter meiner Kinder (meine frühere Frau) nicht damit aufhört, diese damit zu beglücken, dass sie nach Rauch stinken würden, sobald sie von mir zu ihr kommen. Es ist so und schlicht einfach nicht wahr! Ich gebe mir Mühe, dies von ihnen fern zu halten. – Die Macht der Programmierung bewirkt trotzdem, dass meine Tochter nicht einmal gerade frisch gewaschene Wäsche akzeptieren möchte.

Die Sache mit dem Nichtraucher-Phänomen ist vielleicht nur eine kleine Randnotiz der Gesellschaft, aber lasst uns bitte alle miteinander hoffen, dass übergroße Intoleranz auf Dauer keine Chance bekommt zu obsiegen.

Im Hause meiner Eltern nahm meine Mutter nach dem Tod des Vaters in 2009 umgehend die Gardinen zum Waschen ab, ließ die Wände von Handwerkern streichen und untersagte das Rauchen. – Das ist weiß Gott in Ordnung. Als Sohn finde ich nur, sie hätte diese Grenze schon früher in ihrer Ehe setzen sollen.

Auch das eine andere Geschichte, die ich allerdings viel später und vielleicht an dieser Stelle erzählen werde.


NACHWORT: Meine Mutter las diesen Artikel und ist nicht einverstanden mit dem letzten Absatz. Die Wände seien schon vor dem Tod meines Vaters gestrichen und die hässlichen, vor Jahrzehnten aus einem anderen Wohnort mit gebrachten Gardinen eben deshalb komplett ersetzt worden. Außerdem verbiete sie das Rauchen nicht.

In Ordnung, das ist sicher so Fakt. Mich beschleicht aber vielleicht auch gerade wegen dieser Feststellung der Verdacht, dass der Text nicht so richtig verstanden wurde.

Das mit dem Rauchen kann ich dann ja mal ausprobieren. Fakt jedenfalls ist auch, dass ich irgendwann nach Vaters Tod vor die Tür geschickt wurde. – Vielleicht mache ich es aber auch nicht und setze mich stattdessen draußen auf seine Teakholzbank, die er in der warmen Jahreszeit liebte. Dort sprachen wir das letzte Mal miteinander. Ein guter Ort für eine Zigarette.

2 Kommentare:

  1. Ich habe für den Bundesparteitag der ÖDP in Coburg Fragen formuliert und die in der ÖDP gestreut, wo ich Sebastian Frankenberger zur Rechenschaftsabgabe auffordere im Zusammenhang mit der Verfassungsbeschwerde von "Mehr Demokratie", dem ESM, dem Fiskalpakt, dem Demokratieverständnis und der Satzungs- und Programmlage der ÖDP: http://viertuerme.blogspot.de/2013/03/sind-satzung-und-grundsatzprogramm-fur.html . Zum Bundesparteitag der ÖDP in Coburg werde ich die Fragen als Flugblatt verteilen, um Delegierte und Besucher mit dem Thema zu konfrontieren. Passt die Politik, die ich hier hinterfrage noch zu den Grundwerten der christlichen Soziallehre: Personalität, Solidarität, Subsidiarität und Gemeinwohl? Stehen ESM und Fiskalpakt nicht im Widerspruch zu diesen Begriffen?
    http://gloria.tv/?search=esm

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  2. Sebastian Frankenberger begibt sich auf eine Fahrradtour durch ganz Bayern.
    http://www.radeln-fuer-bayern.de/route/
    Das ist für viele eine Chance, ihn mal ein Stück des Weges zu begleiten oder besondere Aktionen vorzubereiten, wenn er durch einen Ort kommt oder ein Tagesziel erreicht. Das muss natürlich alles ohne Gewalt gegen Sachen und Personen laufen, aber Protestlieder oder öffentliche Kundgebungen sind ja für jeden erlaubt. Ich bin Nichtraucher und habe von dieser Seite her keine Kritik an Sebastian Frankenberger. Das Problem, dass ich mit ihm habe, ist, dass bei ihm Wort und Tat nicht übereinstimmen und er in der ÖDP nicht praktiziert, was er in seinem Buch "Volk entscheide" an demokratischen Prinzipien verkündet. Ich habe dazu mehrere Texte auf meinem Viertürmeblog veröffentlicht, u.a. diesen hier vom 6.6.12: http://viertuerme.blogspot.de/2012/12/belogt-odp-chef-sebastian-frankenberger.html . Alle von mir (Felix Staratschek) und den Reusings verfassten Texte im Viertürmeblog stehen unter Copyleft und dürfen von jedem mit Quellenangabe kopiert und weiter verbreitet werden. Es liegt nun an den wahren Demokraten in Bayern, durch gute Aktionen und die Verbreitung guter Kritiken, Sebastian Frankenberger die Maske vom Gesicht zu reißen! Es lohnt sich auch, dafür täglich die neuesten Einträge im Internet von "Sebastian Frankenberger" durchzugehen, um gute Kommentare oder gar Leserbriefe zu schreiben.Sebastian Frankenberger hat es nicht anders gewollt, er hat alle Möglichkeiten zur Abgabe von Rechenschaft oder zur Änderung seines Verhaltens ausgeschlagen. Jetzt müssen alle seine Kritiker sich zu einem Bündnis zusammen finden, damit er nicht 2014 in das europäische Parlament einzieht. Ich warne vor der Redekunst von Frankenberger: http://viertuerme.blogspot.de/2012/10/eine-kleine-neurolinguistische.html .
    Bei aller Kritik an Frankenberger darf man jedoch nicht vergessen, es gibt noch schlimmere Politiker, als diesen, aber Sebastian Frankenberger ist deren willfähriger Zuarbeiter: http://viertuerme.blogspot.de/2013/05/mehr-demolratie-ev-die-saat-geht-auf.html

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